Karl Nolle, MdL

DNN, 21.09.1999

Kunckels Rücktritt: Weg zum Machterhalt?

Der SPD-Vorsitzende a. D. will Fraktionschef bleiben / Krehl als SPD-Chefin bestätigt
 
DRESDEN. Es ist ein merkwürdiges Knäuel von Verantwortlichkeiten, das der scheidende SPD-Chef Karl-Heinz Kunckel geknüpft hat. Verantwortung Nummer eins: Er trete vom Amt des Parteivorsitzenden zurück, wiederholte Kunckel gestern, einen Tag nach der Wahlniederlage, weil „man gelegentlich Verantwortung übernehmen muss“. Er wäre gerne Parteichef geblieben. „Aber die Situation ist so, wie sie ist.“
Verantwortung Nummer zwei: Kunckel fühlt sich für das schlechteste Ergebnis, das die SPD je bei bundesrepublikanischen Wahlen erzielt hat, eigentlich gar nicht verantwortlich. Die 10,7 Prozent seien „im wesentlichen auf Einflüsse von außen zurückzuführen“. Kunckel nennt die „fehlende Wechselstimmung“ in Sachsen, den „Gegenwind aus Bonn“ und den „Domino-Effekt“ nach den Pleiten im Saarland und in Thüringen.
Verantwortung Nummer drei: „Die Kräfte, die wir haben, müssen wir zum Einsatz bringen“, sagt Kunckel. Dazu müsse die Verantwortung „auf mehrere Schultern verteilt“ werden. Constanze Krehl soll Parteivorsitzende und damit die „Nummer eins“ in der SPD werden, schlägt der Geschlagene vor.
Er werde Fraktionsvorsitzender bleiben, wenn die Fraktion ihn wolle. „Dann werde ich mich nicht aus der Verantwortung stehlen.“ Sein Vorschlag ist zudem, dass die Fraktion ihren Vorsitzenden nicht nur für 100 Tage wählt, und dann für den Rest der Legislaturperiode bestätigt, sondern gleich für zwei Jahre.
So stellt sich Kunckel das vor. Und bislang gibt es keinen lauten Widerspruch. In der Partei scheint indes nicht ausgemacht, dass alles so kommt, wie es der Vorsitzende a. D. wünscht. Es ist die Rede von Frust, weil Kunckel im Rücktritt alles in seinem Sinne regeln wolle. Verbunden damit ist der Verdacht, die Aufteilung der Spitzenposten auf die Europaabgeordnete Krehl und Kunckel führe zu einem Machterhalt des alten Parteichefs. „Nach der Devise: Die Constanze ist in Brüssel, die Macht bleibt in der Fraktion.“ Hinter der Benennung Krehls steckt zweierlei. Die Leipzigerin gilt als resolute und fähige Person. Gleichzeitig ist sie diejenige, die am allerwenigsten polarisiert. Zudem wird berichtet, Krehl habe zugestimmt, sich nicht um die Spitzenkandidatur 2004 zu bewerben. Ihr Parteivorsitz stünde daher anderen nicht im Wege.
Krehl wurde am Abend dann auch einstimmig vom Landesvorstand als kommissarische Landesvorsitzende bestätigt. Offiziell soll sie auf einem Sonderparteitag am 30. Oktober in Leipzig gewählt werden. Der Vorstand empfahl der neuen Fraktion, die sich morgen konstituieren wird, Kunckel als Fraktionschef wieder zu wählen. Wenn sich niemand meldet, wird Kunckel wohl gewählt. Es könne aber auch sein, „dass alles noch auseinander fliegt“, wie einer berichtet.
Karl Nolle, neues Landtagsmitglied mit Ambitionen, hat für diesen Fall einen Plan. Die Wahl des Fraktionschefs werde verschoben in eine Klausur, in der alles in Ruhe geregelt werden könne.
(von Sven Siebert)

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