junge Welt, 25.11.2002
Urteil zur Strafbarkeit einer Naziparole: Ohrfeige für die sächsische Justiz?
jW sprach mit Karl Nolle, Fraktionsmitglied der SPD im sächsischen Landtag
F: Sie haben am Donnerstag eine kleine Anfrage zur Strafbarkeit der Parole »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« an die Sächsische Landesregierung gestellt. Der sächsische Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm hat die Parole nach einer NPD-Demonstration in Leipzig im November vergangenen Jahres für nicht strafbar erklärt. Was war der Anlaß Ihrer Anfrage?
Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe vom 15. November. Dieses Gericht hat befunden, daß die Parole vor allem nach konkreter Art ihrer Benutzung der Losung »Blut und Ehre der Hitlerjugend« zum Verwechseln ähnlich ist und dem Verwenden von verfassungsfeindlichen Kennzeichen entspricht. Die Ähnlichkeit wird nach Auffassung des OLG durch die Veränderung eines Wortes nicht aufgehoben, wodurch ein Bezug zu einer anderen, in gleicher Weise verfassungswidrigen Organisation hergestellt werde. Deshalb sei das Ganze zweifellos verboten und strafbar.
F: Was hat Ihre kleine Anfrage zum Inhalt?
Es geht um die Frage, ob die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden bei ihrer Entscheidung dasselbe Material, das andere Gerichte zugrunde gelegt haben, geprüft hat. Wenn dem so sein sollte, frage ich mich, warum sie nicht zu ähnlichen Schlüssen wie die Karlsruher Richter gekommen ist.
F: Sie haben bereits vor einem Jahr beim damaligen sächsischen Justizminister Manfred Kolbe eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Generalstaatsanwalt erhoben.
Schon damals gab es eine Sammlung von Parolen und Zeichen für Folgeorganisationen der NSDAP, die meines Wissens beim Bundeskriminalamt ausgewertet werden. Darunter eben auch die Parole »Blut und Ehre« der Hitlerjugend. Wenn man sich damals in Sachsen die Mühe gemacht hätte wie jetzt in Karlsruhe, hätte die Parole »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« schon lange nicht mehr straflos gegrölt werden dürfen.
F: Sie haben bis heute noch keine Antwort auf Ihre damalige Beschwerde bekommen.
Das gehört zum ganz normalen Elend der Strafverfolgung in Sachsen, die hier der politischen Opportunität untergeordnet ist. In der Folge der Biedenkopf-Skandale blieben alleine fünf Strafanzeigen, die ich als Landtagsabgeordneter gegen den Ministerpräsidenten sowie drei seiner Minister wegen des Verdachts der Untreue und anderer Delikte stellte, seit zum Teil 18 Monaten unbeantwortet! Die Anzeigen sind aber so sachlich und fundiert, daß sich bisher kein Staatsanwalt gefunden hat, die Aufnahme von Ermittlungen abzulehnen. Dieses systematische Nichtstun grenzt schon an institutionalisierte Strafvereitelung zugunsten der herrschenden CDU-Klasse.
F: Was fordern Sie von der sächsischen Justiz und Landesregierung?
Daß es ein Ende hat, länger auf dem rechten Auge blind zu sein. Ich fordere sie auf, sich die Entscheidung aus Karlsruhe sehr genau anzusehen, ihrer verdammten demokratischen Pflicht endlich nachzukommen, Konsequenzen aus der Blamage zu ziehen und sich dafür zu entschuldigen, daß sie die Sache bisher nicht gewissenhaft geprüft haben und zu falschen Schlüssen gekommen sind.
Interview: Jana Frielinghaus
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