Freie Presse Chemnitz, 15.11.2002
Peniger Bau-Affäre: In Weichspüler gebadet
Landtag schließt Fall Kempen ab und erkennt keine Behördenfehler - Abgeordnete Bretschneider: "Ob Gangster oder Bürgermeister, ist egal"
DRESDEN. Am Ende kam das heraus, was Innenstaatssekretär Albrecht Buttolo vor Monaten als die offizielle Linie des Freistaates herausgegeben hatte: Keine Behörde hat Fehler gemacht. Und falls doch, so ist es die Sache ziviler Gerichte, eine Klärung herbeizuführen. Am Donnerstag Abend zu vorgerückter Stunde hat der Landtag über die Petition des Bauunternehmers Heribert Kempen aus Gailingen am Bodensee entschieden.
Kempens Vorwürfe wurden komplett zurückgewiesen. Damit soll ein Schlussstrich unter die Bauaffäre gezogen werden, die in der Stadt Penig immer wieder hochgekocht ist und in einer saftigen Schadensersatzzahlung zu explodieren drohte.
Unternehmer Kempen und Bürgermeister Thomas Eulenberger (CDU) streiten um ein Wegerecht. Ende der 90er Jahre hatte Kempen der Stadt ein Bauerngut abgekauft. Zum Gut sollte eine Zufahrt gehören. Zunächst vergaß die Stadt, die nötige Baulast ins Grundbuch einzutragen. Kempen machte Druck und bekam sein Wegerecht, doch jetzt war die Zufahrt zu schmal, um mit einem Auto passieren zu können. Der Unternehmer bestand auf einer Korrektur, der Stadt-Chef wehrte ab: Der Weg sei in Ordnung.
Einst hatten sich Kempen und Eulenberger prächtig verstanden. Mittlerweile aber war ihr Verhältnis zerrüttet. Statt die Sache bei einem Bier aus der Welt zu schaffen, entbrannte ein Kleinkrieg, den beide verbissen führten. Dann ging Kempens Firmengruppe HMK pleite, andere Betriebe wurden in Mitleidenschaft gezogen. Der Baulöwe behauptet, dies sei Eulenbergers Schuld. Ein Steuerberater beziffert den Schaden auf 60 Millionen Euro. Das rief den Bund der Steuerzahler auf den Plan, der die Provinzaffäre in sein aktuelles Schwarzbuch aufgenommen hat. Hätte Kempens Petition Erfolg gehabt, wäre seine Chance gestiegen, einen Schadensersatzprozess zu gewinnen.
An den Petitionsausschuss des Landtages hatte sich Kempen gewandt, weil er sich von den Rechtsaufsichtsbehörden verschaukelt fühlte. Mittweidas Landrat Andreas Schramm, der Chemnitzer Regierungspräsident Karl Noltze und Innenstaatssekretär Albrecht Buttolo (alle CDU) - sie alle hatten es abgelehnt, Penigs Bürgermeister wegen des zu schmal vermessenen Weges auf die Finger zu klopfen.
Im Sommer hatte es für Kempen nicht schlecht ausgesehen. Die Landtagsabgeordnete Ulrike Bretschneider (PDS), die den Fall detailliert untersucht hatte, war zu der Überzeugung gekommen, dass das Wegerecht tatsächlich nicht passte. Anfang Juni lag im Petitionsausschuss ein Zwischenbericht über die Affäre vor. Er war aus Zuarbeiten der Regierung, des juristischen Dienstes des Landtages und Bretschneiders zusammengesetzt worden und übte Kritik an den beteiligten Behörden: Sie seien dem Grundsatz einer bürgernahen Verwaltung in keiner Weise nachgekommen. Die Regierung sollte beauftragt werden, zu prüfen, ob es dienstliche Verfehlungen einzelner Personen gegeben habe. Das war deutlich, wenngleich der Tobak nicht so stark war, wie Kempen sich das gewünscht hätte. Denn es gab auch Passagen, in denen klar gesagt wurde, dass einige Vorwürfe des Bauunternehmers ins Leere laufen.
Diese Textstellen sind für die am Donnerstag im Parlament beschlossene Endfassung wörtlich übernommen worden. Die kritischen Feststellungen hingegen wurden entfernt. Im Vergleich beider Versionen liest sich der neue Text so, als sei der Bescheid in einen Kübel mit Weichspüler gefallen. Das Papier gipfelt in der Feststellung, dass der Vertrag zwischen der Stadt Penig und dem Bauunternehmer sehr wohl erfüllt worden sei. Denn dort sei nur festgelegt worden, dass ein Wegerecht einzuräumen sei. Und das ist ja auch geschehen ... Im Klartext: Nirgendwo hat gestanden, dass der Weg auch passen muss.
Dass dem kritischen Bericht auf seinem Weg ins Parlament etwas widerfahren würde, hatte sich freilich abgezeichnet. Die CDU-Abgeordneten, die im Petitionsausschuss in der Mehrheit sind, waren von Beginn an gegen diese Fassung und orientierten sich an der offiziellen BehördenMeinung: Der Fall Kempen sei nie ein Fall für die Rechtsaufsicht gewesen, sondern müsse vor einem Zivilgericht aufgeklärt werden.
Die Abgeordnete Bretschneider zog am Donnerstag ernüchtert ihr Fazit: „Der Petitionsausschuss hat sich von der Regierung vorführen lassen. Es gab Fragen, auf die wir nie eine Antwort erhalten haben. Stattdessen haben wir zu hören bekommen: „Ihr braucht diese Antworten nicht, der Fall ist klar.“ Nach dieser Petition könne kein Bürger mehr Vertrauen in die öffentliche Hand haben, meint Ulrike Bretschneider: „Ob du einem Gangster oder einem Bürgermeister gegenüber sitzt, ist egal. In beiden Fällen kannst du hereinfallen.“
Bemerkenswert ist, dass inzwischen selbst Kempen-Gegner einräumen, dass der Weg nicht passt. Udo Lindner, Fraktionschef der SPD im Kreistag Mittweida: „Wenn man den Vertrag nach Punkt und Komma liest, stimmt das Wegerecht nicht.“ Lindner, der unlängst ein langes Gespräch mit Penigs Bürgermeister geführt hat, glaubt, dass das Wegerecht im Landratsamt vom Schreibtisch aus und nur anhand einer Lageskizze ausgemessen worden ist. Eine Vermessung, wie mehrfach behauptet, habe es offenbar nie gegeben.
Dennoch bleiben die Stadt- und Kreisräte der SPD in dieser Sache auf der Seite des Bürgermeisters. „Weil wir glauben, dass Kempens Firmen unabhängig von diesem Streit pleite gegangen sind“, sagt Lindner. „Ich denke, der Unternehmer hat hier eine Chance erkannt, aus dem Fehler der Stadt Kapital zu schlagen.“
Leitartikel: Muskelspiele
Wenn man den Fall Kempen nüchtern betrachtet, kann man es mit der Angst zu tun bekommen. Aber in der Peniger Bau-Affäre standen in den letzten Monaten Emotionen und Spekulationen im Vordergrund, die eher wütend gemacht und dabei zugedeckt haben, um was es im Kern einmal gegangen ist.
Da ist ein Unternehmer, der mit einer exorbitanten Schadensersatzforderung daherkommt: 60 Millionen Euro. Eine Summe, die der Freistaat nicht übrig hat, und die in die Peniger Stadtkasse ein Loch reißen würde, in dem die Stadt zweimal verschwinden würde. Insofern hat der Landtag mit der Ablehnung der Kempen-Petition die Notbremse gezogen. Das Eingestehen von Verwaltungsfehlern hätte zwar nicht automatisch bedeutet, dass Schadensersatz zu leisten ist. Aber Kempens Position vor Gericht wäre gestärkt worden. Das sollte wohl verhindert werden. 60 Millionen wegen ein paar Zentimeter fehlenden Weges? Das erkläre mal einer dem Steuerzahler ...
Dazu kommen Zweifel: Vier Firmen sollen wegen ein paar fehlender Zentimeter pleite gegangen sein? Kempen hat das so zwar nie behauptet. Die Firmengruppe soll vielmehr erst im folgenden Kleinkrieg mit Penigs Bürgermeister in den Ruin getrieben worden sein, weil der Stadt-Chef ehrenrührige Behauptungen über den Unternehmer im Amtsblatt verbreitet und einen Kempen-Kunden aufgefordert hat, keine Zahlungen mehr an den Unternehmer zu leisten. Doch reicht das, um vier Firmen zu ruinieren? Vielleicht, vielleicht nicht.
Lässt man die Millionen und Emotionen weg bleibt ein beängstigendes Bild: Ein Vertrag, in dem eine Zufahrt vereinbart war. Ein Weg, der zu schmal ist. Eine Stadtverwaltung, die den Fehler nicht korrigiert. Aufsichtsbehörden, die abwiegeln: Zivilsache! Jene Art von Prozessen, deren Risiko der Verlierer trägt. Verliert der Bürger, zahlt er selbst. Verliert der Staat, zahlt der Steuerbürger. Da ist es leicht, die Muskeln spielen zu lassen. Wenn Behörden ihre Fäuste ballen, können Bürger nur das Handtuch werfen. Die Verwaltung ist ein übermächtiger Gegner, wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hat, der Größte sein zu wollen, wie Muhammed Ali.
Ist der Fall Kempen ein Einzelfall? In seiner Spezifik - ja. Im Kern? Wohl nicht. Es ist einmal geschehen. Es wird wieder geschehen. Es kann jedem geschehen.
(Von Mario Ulbrich)
Kommentar von Karl Nolle, MdL: "Ich kann nur Mario Ulbrich und der Freien Presse danken, wie couragiert sie sich gegen das Unrecht bürgerfernen fehlerhaften Verwaltungshandeln eingesetzt haben. Ob noch ein Kraut gegen dieser Art Mittweidaer Landrecht gewachsen ist, man wird sehen. Zu hoffen ist es jedenfalls. Hätten sich die Abgeordneten, die diese Beerdigung einer berechtigten Petition ausgeheckt haben, nur ein einziges Mal mit allen Tatsachen, derer man habhaft werden kann, auseinandergesetzt, sie hätten die Gesetzmäßigkeit des kleinen Einmaleins und der Geometrie außer Kraft setzten und sie hätten sich die eigenen Augen gegenseitig lichtdicht verbinden müssen um in eigener, persönlicher Anschauung vor Ort nichts sehen, hören und wissen zu können.
Wie lang und wie breit ist ein Wegerecht, ein Zufahrtsrecht für ein PKW zu einem Grundstück, in das kein Fahrzeug paßt. Zugegeben, aus der warmen Petitionsstube des Sächsischen Landtages in Dresden Richtung Penig geguckt paßt das Wegerecht(Luftlinie 100 km) - eben.
Warum sollte man als Abgeordneter das selber prüfen, wenns die Regierung sagt, wenns der Regierungspräsident sagt, wenns der Landrat sagt und wenn es der Bürgermeister sagt. Denn die Gerichte habens bisher auch immer gesagt, sagt man. Das stimmt, aber nicht, weil sie es tatsächlich selber geprüft oder prüfen lassen hätten, nein aus einem einzigen Grunde, sage ich: Stadt und Kreis haben vor Gericht, nach den Buchstaben des in Rede stehenden Grundstückskaufvertrages, die plumpe Unwahrheit gesagt. Bürgermeister und Landrat haben die Gerichte belogen. Starker Tobak? Machen sie eine Ortsbesichtigung in Penig. Sie werden Ihren eigenen Augen nicht trauen, wie hier gelogen und Recht verbogen wurde. Hats mehr als eine/einer aus dem hochbezahlten Petitionsausschuss des Landtages gemerkt oder merken wollen? Nein, konnte man ja nicht, denn die Regierung hat doch gesagt es ist immer alles in Ordnung gewesen ... Warum soll man dann mit eigenen Augen ...
Zur Wende wollten so viele hier endlich Bananen haben. Nun haben sie die entsprechende Republik dazu bekommen, fürchte ich.
Wie hat Mario Ulbrich geschrieben: Es ist einmal geschehen. Es wird wieder geschehen. Es kann jedem geschehen. Das stimmt, Herr Ulbrich. Nur in einem Land der Gleichgültigkeit und einem Land ohne wirklich demokratische Kontrolle kann das passieren und passiert es immer wieder. Wäre nicht so schlimm, wenn nicht dabei Menschen und ihre Familien über die Klinge springen würden.
So war es und so ist es, aber muß es wirklich so bleiben?