Karl Nolle, MdL

ND, Neues Deutschland, 10.09.2002

Provinz-Sturheit könnte den Freistaat Millionen kosten

Posse um Wegerecht: Investor scheitert an CDU-Amigos
 
Seit fünf Jahren liegen im sächsischen Penig ein Bauunternehmer und Kommunalbehörden im Clinch. Die Regierung ist trotz Anfragen nicht eingeschritten. Der Skandal könnte den Freistaat 60 Millionen Euro kosten.

Wenn Heribert Kempen nicht ein Bauunternehmer aus Gailing am Bodensee, sondern der Rosshändler Michael Kohlhaas wäre, stünden seine Truppen inzwischen vor Dresden. Den Titelhelden der Kleistschen Novelle ließen zwei entwendete Pferde, verdrehte Paragrafen und eine ignorante sächsische Obrigkeit zum Freischärler werden. In Kempens Fall geht es um eine Grundstückszufahrt, die mit 1,10 Meter viel zu schmal bemessen war. Inzwischen wird um Schadenersatz in zweistelliger Millionenhöhe gestritten. Kempen beschränkt sich auf verbale Salven, hat aber inzwischen auch Dresden unter Dauerbeschuss genommen.

Die Groteske begann Mitte der 90er Jahre. Kempen wollte im sächsischen Penig mehrere Häuser sanieren. Mit CDU-Bürgermeister Thomas Eulenberger verband ihn eine Männerfreundschaft. Wohl deshalb wurde der Kauf eines Bauerngutes, in dem Eigentumswohnungen entstehen sollten, mit einem "saumäßigen Vertrag" besiegelt, wie die PDS-Abgeordnete Ulrike Bretschneider sagt. Sie sitzt im Petitionsausschuss des Landtages, der Licht in das Dickicht der Anschuldigungen bringen soll.

Gestritten wurde anfangs nur über eine Zufahrt zum Bauerngut, die über ein Nachbargrundstück führte. Das nötige Wegerecht tauchte im Grundbuch zunächst gar nicht auf und wurde später so bemessen, dass nur Kinderwagen passieren konnten. Kempen behielt wegen Nichterfüllung des Vertrags den Kaufpreis für das Gehöft ein, Eulenberger warnte seinerseits im Amtsblatt vor dem säumigen Zahler. Zudem wurden Zweifel an seiner Sesshaftigkeit und Zurechnungsfähigkeit nahe gelegt. Der Streit eskalierte. Die Stadt ließ eine Bürgschaft über 185 000 Mark einziehen, die kommunale Sparkasse verweigerte Kredite. Kempens Firmen, die allein in Penig 170 Mitarbeiter beschäftigten, gingen nach und nach Pleite. Gutachter beziffern den Schaden auf 60 Millionen Euro. Jeden Tag werden es 17 000 Euro mehr.

Dass Politiker wie der SPD-Abgeordnete Karl Nolle von einer "verschworenen Parteien-Amigo-Allianz" reden, liegt an der auffälligen Untätigkeit übergeordneter Behörden. Kempen, ein langjähriges CDU-Mitglied, schickte Beschwerden an Landrat Matthias Schramm, den Regierungspräsidenten der Chemnitzer Region Karl Noltze und Ex-Innenminister Klaus Hardraht, allesamt CDU. Offiziell geschah nichts. Der Streit solle vor Gericht ausgetragen werden, heißt es in Dresden. Dort sind auch mehrere Verfahren anhängig. Der Fall hat aber auch eine politische Dimension, sagt Ulrike Bretschneider: "Hier ist durch Kleinlichkeit immenser Schaden entstanden." Die Rechtsaufsicht müsse einschreiten.

Offenbar sehen das selbst die Beschuldigten ähnlich. Landrat Schramm meldete bereits im April 2001 beim kommunalen Haftpflichtversicherer KSA vorsorglich einen durch Verwaltungsfehler verursachten Schadensfall an. Klaus Leroff, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion und Mitglied im Petitionsausschuss, sucht seit Frühsommer heimlich zu vermitteln. Nolle vermutet, dass der Fall "still geregelt" werden könnte, sobald der Bericht des Petitionsausschusses vorliegt. Allerdings sollen die Betroffenen nach angeblichen Morddrohungen inzwischen auch Bundeskriminalamt und Generalbundesanwalt eingeschaltet haben.

Beobachter von außerhalb des Freistaats registrieren die Vorgänge mit Grausen. Das Schweigekartell der Behörden erinnere ihn an eine "kriminelle Vereinigung", sagt Wolfgang Peitz. Der frühere baden-württembergische Arbeitgeberpräsident berät Kempen und andere Unternehmer aus dem Landkreis Mittweida, denen von den Behörden ähnlich übel mitgespielt wurde. Peitz, der parteilos ist, hat im CDU-dominierten Sachsen einen bedenklichen Verfall der politischen Sitten festgestellt. Zudem existiere "praktisch keine Gewaltenteilung mehr". Solche harten Anschuldigungen werden durch weitere Merkwürdigkeiten im Fall Kempen genährt. Ein freier Journalist, der für den MDR in der Sache recherchierte, wurde beurlaubt. Eine offizielle Erklärung gibt es nicht. Nur eine auffällige Querverbindung: Landrat Schramm, der für den Bericht befragt werden sollte, sitzt auch im MDR-Rundfunkrat.
(Von Hendrik Lasch)

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