Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 06.09.2002

Journalist im Abseits: 30 Fragen bis zum Sendeschluss

Eine Liste mit peinlichen Fragen an Mittweidas Landrat Schramm kostet einem MDR-Mitarbeiter den Job - Für Funkhauschefin Wolf ist es eine Frage der Seriösität
 
MITTWEIDA. Vor ein paar Tagen war Christoph Lötsch noch ein anerkannter Fernsehmann. Als fester freier Mitarbeiter drehte er Berichte für Sendungen des MDR. Jetzt hat Lötsch Sendeschluss. Er ist draußen, wie es im Kollegenjargon heißt. Der Grund: Der Dresdner MDR-Mitarbeiter hat Mittweidas Landrat Andreas Schramm (CDU) kritische Fragen gestellt und sich dabei, das gibt der Journalist zu, im Ton vergriffen. Mit Lötschs Kaltstellung wurden auch seine letzten Filmberichte aus dem Programm gekippt, die von Investorenbehinderung im Landkreis Mittweida erzählen sollten.

Im Kern ging es um die Firma Gum Tec, ein Fall über den die „Freie Presse“ im August berichtet hat. Der Geschäftsmann Gerald Schmidt aus Tiefenbach wollte eine Recyclinganlage für Altreifen aufbauen, mehrere Millionen Euro investieren und 20 Arbeitsplätze schaffen. Nach rund fünfjährigem Hin und Her erhielt Schmidt zwar endlich die dafür nötige Genehmigung, doch wollte das Landratsamt, dass der Investor 180.000 Euro auf einem Konto deponiert - als Sicherheit für den Fall, dass Schmidt Pleite macht und Gummiberge hinterlässt. Juristisch ist diese Forderung umstritten, Schmidt wehrte sich dagegen, und der Streit ging weiter.

Den Bericht über diesen Vorgang sowie eine Fortsetzung hatte MDR-Mann Lötsch im Kasten. Während seiner Recherchen lernte er den Bauunternehmer Heribert Kempen aus Gailingen am Bodensee kennen, dessen Peniger Firmengruppe HMK nach einer langwierigen Auseinandersetzung mit Penigs Bürgermeister Thomas Eulenberger (CDU) bankrott gegangen ist. Kempen gibt an seiner Pleite Eulenberger und im zunehmenden Maße auch Landrat Andreas Schramm die Schuld. Der Baulöwe hat eine Allianz aus Geschäftsleuten geschmiedet, die allesamt Vorwürfe gegen Schramm erheben. In diesen Kreisen kursiert der Verdacht, dass Mittweidas Landrat früher als Stasi-Spitzel gearbeitet hat. Beweise gibt es dafür keine. Schramm selbst sagt: „Solche Fragen kann ich reinen Gewissens mit Nein beantworten.“ In den zurückliegenden Jahren ist der Politiker mehrfach auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit überprüft worden - ohne Befund.

Fernsehjournalist Lötsch wollte ein Interview mit Mittweidas Landrat. Dafür reichte er eine Liste mit 30 Fragen ein, die den Fall Gum Tec, aber auch mögliche Stasi-Verstrickungen Schramms zum Thema hatten. Lötsch formulierte forsch: „Wie lautet Ihr letzter Dienstgrad bei der NVA?“ Oder: „Haben Angehörige von Ihnen für das MfS gearbeitet?“ Auch die Anliegen des ruinierten und wie besessen um seine Rehabilitierung kämpfenden Heribert Kempen fanden sich wieder: „Welche Absicht verfolgen Sie damit, den Bauunternehmer Kempen zum Offenbarungseid zu zwingen?“

In einer Redaktionskonferenz hatte Lötsch zuvor das Thema angekündigt. „Etwas wirr und wie eine Räuberpistole klingend“, schildert Landesfunkhausdirektorin Ulrike Wolf Lötschs Beschreibung des brisanten Falles. „Das diskutieren wir später in kleiner Runde“, hatte Fernsehchef Wolf-Dieter Jacoby seinen eifrigen Mitarbeiter angewiesen. Doch Lötsch brannte auf die Antworten Schramms und faxte seinen Katalog noch am selben Tag in die Pressestelle des Landratsamtes.

Danach ging alles sehr schnell. Lötschs Beiträge wurden aus dem Sendeplan des regionalen Nachrichtenjournals „Sachsenspiegel“ gekippt, der Journalist von allen Aufgaben entbunden. Lötsch ist praktisch arbeitslos. Fernsehchef Jacoby sagt allerdings: „Es gibt kein Arbeitsverbot.“ Er habe Lötsch, der bereits vor der Schramm-Aktion nicht unproblematisch gewesen sei, lediglich vorgeschlagen, eine Auszeit zu nehmen. In der Landespolitik sei der Journalist nach diesem Fall angreifbar. Doch das Tuch zwischen Sender und Mitarbeiter scheint zerschnitten.

Zusätzliche Brisanz gewinnt der Vorgang dadurch, dass Landrat Schramm Mitglied des MDR-Rundfunkrates ist. In den Kreisen um Baulöwe Kempen wird offen darüber gesprochen, dass Schramm die Ausstrahlung der Fernsehbeiträge, in denen die Arbeit des Landratsamtes im Fall Gum Tec kritisiert wird, verhindert und darüber hinaus Lötschs Rauswurf betrieben haben soll.

Nach eigener Darstellung hatte Andreas Schramm jedoch gar keine Gelegenheit, zu reagieren. „Ich hatte die Fragen gerade auf den Tisch bekommen“, sagt er. „Eine halbe Stunde später rief mich Herr Jacoby an. Er entschuldigte sich und erklärte, die Fragen seien gegenstandslos.“

In vorauseilendem Gehorsam landete das Papier, das Schramm zu einer harschen Reaktion hätte veranlassen können, im Papierkorb. „Es ging um unsere Glaubwürdigkeit und Seriösität“, begründet Funkhausleiterin Ulrike Wolf die schnelle Reaktion ihres Fernsehchefs. Die Unterstellung, Mittweidas Landrat habe Einfluss auf den Sender genommen, weist sie zurück: „Was recherchiert wird, das wird auch gesendet.“ Und Jacoby bekräftigt: „Wir wollen die Geschichte weitermachen“.

Christoph Lötschs vom Sendeplan gestrichene Beiträge freilich beschäftigten sich zunächst nur mit dem Fall Gum Tec. Stasi-Unterstellungen fanden sich darin nicht.

(Von Mario Ulbrich und Hubert Kemper)

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Bemerkung von Karl Nolle, MdL zu diesem Thema:
Siehe meine Presserklärung vom 10.6./20.6./17.7.2002
Siehe Presseartikel vom: 6.6./8.6./11.6./11.6./21.6./29.7.2002

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