Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 03.01.2002

Wackliger Meilenstein

Seit Jahren verhandeln in Basel Notenbanken und Aufsichtsbehörden über neue Spielregeln bei der Kreditvergabe.
 
Dresden/Berlin. Seit Jahren verhandeln in Basel Notenbanken und Aufsichtsbehörden über neue Spielregeln bei der Kreditvergabe. Viele Mittelständler sehen darin eine Bedrohung. Doch die neuen Regeln sind Risiko und Chance zugleich - und auch in Sachsen bei den meisten Kreditgebern schon in Gebrauch. Kleine und mittlere Unternehmen müssen umdenken - um künftig höhere Kreditzinsen zu vermeiden In Basel entwerfen Finanzexperten ein neues Regelwerk zur Vergabe von Krediten - für das mittelständisch geprägte Deutschland eine gewaltige Herausforderung.

Für Hypovereinsbank-Vorstand Stefan Schmittmann sind sie "ein längst fälliger Strukturanpassungsprozess unserer Volkswirtschaft": die Verhandlungen des so genannten Baseler Ausschusses. In ihm arbeiten Kapitalmarktexperten an einem neuen Regelwerk für die Kreditvergabe, kurz Basel II. Derzeit gilt: Banken und Sparkassen müssen ihre Kundenkredite pauschal mit acht Prozent Eigenkapital unterlegen. Oder anders: Ein Institut darf maximal das 12,5-fache des ihm zur Verfügung stehenden Eigenkapitals ausleihen. Den Nachteil des Systems fasst Wolfgang Arnold vom deutschen Bankenverband zusammen: "Für einen Kredit an ein Weltunternehmen benötigen wir die gleiche Kapitalanforderung wie für einen Kredit an einen malaysischen Schweinezüchter." Von 2005 an soll sich das ändern. Dann entscheidet allein die Zahlungskraft des Kunden über die Höhe der Eigenkapitalbindung. Dazu erstellen die Institute selbst dem Kreditkunden eine Art Reifezeugnis, das so genannte Rating. Und das birgt für den deutschen Mittelstand Zündstoff. Denn schlechte Unternehmer belasten das Eigenkapital der Bank mehr als gute. Die Geldinstitute werden diesen Unterschied die Kunden spüren lassen: Wer seine Hausaufgaben nicht macht, wird für einen Kredit höhere Zinsen zahlen. Wer die Prüfung mit Bravour besteht, kommt günstiger davon.

Der Kanzler will die Reform kippen

"Ich rechne damit, dass wir im Laufe der Zeit zwei Prozentpunkte mehr Zinsen bezahlen", schätzt Christoph Löning, Chef der Spinnhütte GmbH in Plauen. Auch eine Studie der Bundesbank berechnet, dass mit Basel II die Kreditzinsen für Großunternehmen um 0,5 Prozentpunkte fallen werden, während sie für den Mittelstand um etwa einen Prozentpunkt steigen. "In dieser Form ist das für uns nicht akzeptabel", polterte darob Ende November Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Als bislang einziger Regierungs-Chef drohte er, die Reform zu kippen. Auf den eigentlichen Vorwurf der amerikanischen und britischen Vertreter im Baseler Ausschuss ging Schröder nicht ein.

Die Attacke ist nicht aus der Luft gegriffen. Es macht dem deutschen Mittelstand keinen Spaß, eigenes Kapital zu sammeln. Ihre Veräußerungsgewinne zum Beispiel werden weiter besteuert. Kreditzinsen hingegen bleiben abzugsfähig. Die Folge: Deutsche Mittelständler haben im internationalen Vergleich eine viel zu dünne Eigenkapitaldecke. Bezogen auf den Kapitalmarkt heißt das: Das Gros der deutschen Mittelständler hat dort den Wert von Führerschein-Neulingen - ein hohes Risiko. Die meisten angelsächsischen Firmen hingegen fahren seit Jahren unfallfrei. Im wirklichen Autofahrer-Leben honorieren das die Versicherer mit günstigen Beiträgen. Genau das will der Baseler Ausschuss auch erreichen. Hypovereinsbanker Schmittmann sagt, dass sich "die Finanzierung mittelständischer Unternehmen einschneidender ändern wird als in den letzten 50 Jahren". Sein Kollege Thomas Bretzger betont jedoch, "ein knapperes Kreditangebot an den Mittelstand ist nicht zu befürchten". Nur Risiko und Preis würden sich stärker entsprechen. Dieses "nur" hat es in sich. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers (PWC) ist der Mittelstand unzureichend vorbereitet. Dies gelte insbesondere für die Transparenz. Nur rund 40 Prozent der befragten Firmen, so PWC, würden regelmäßig und zeitnah Informationen an ihre Kreditgeber weiterleiten. Hohe Transparenz aber ist ein Haupt-Kriterium für künftige Kreditkosten. Doch "es gibt nichts, was deutsche Mittelständler mehr hassen als Transparenz", sagt Andreas Naumann von der Rating-Agentur Moody's. Der Kreditgeber wolle genau wissen, ob es überzogene Privatentnahmen aus GmbH-Umsätzen gebe und welche Aufträge unprofitabel seien. Eine weitere Umstellung nennt Arell Buchta vom Dresdner Büro des Unternehmensberaters Andersen: "Die Auswirkungen von Basel II liegen nicht vorrangig in einer Veränderung der Kreditzinsen, sonder darin, dass es nun gefordert ist, seine Bonität aktiv zu gestalten." Es sei nicht die Hauptaufgabe des Mittelstands, Kredite aufzunehmen, sondern den Ertrag zu steigern. Damit nicht genug. Briten und Amerikaner drängen in Basel darauf, dass die Banken auf Kredite mit langer Laufzeit eine Art Risiko-Aufschlag erheben. Kommen sie damit durch, würde das den deutschen Mittelstand besonders treffen. Er finanziert sich zu fast 70 Prozent mit lang laufenden Krediten. Burkhard Lehmann, Vizechef des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, wehrt sich dagegen: "In diesem Punkt haben wir eine sehr harte Position. Wir sind nicht bereit, Sanktionen gegen unser Langfristdenken hinzunehmen." Auch das Thema "Sicherheiten" ist noch nicht geklärt. Hiesige Unternehmer bieten den Banken bislang als Kreditsicherheiten vor allem Immobilien, Maschinen oder Lagerbestände an. Das steht zur Disposition. Basel II will nur noch Wertpapiere, Investmentfonds, Bareinlagen, Lebensversicherungen, Depots, Forderungen und Edelmetalle akzeptieren. Lehmann: "Hier bläst uns ein heftiger Wind ins Gesicht."

Viele Geldgeber werden knauserig

Obwohl diese Punkte noch nicht geklärt sind, haben die Geldinstitute mit der Umsetzung der Grundregeln von Basel II schon begonnen. Nach Angaben des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) sind mehr als ein Drittel aller kleinen und mittelständischen Firmen bereits aufgefordert worden, sich nach anderen Kreditgebern umzusehen. BVMW-Chef Mario Ohoven: "Im Osten dürfte die Quote um einiges höher liegen." In das gleiche Horn bläst Karl Nolle, wirtschaftspolitischer Sprecher in Sachsens SPD-Landtagsfraktion. Die vorauseilende Praxis der Banken "ist für die Wirtschaftskraft Sachsens verheerend". Doch Jammern wird nicht weiter helfen. Letztlich erreicht mit Basel II die Logik der globalen Finanzmärkte das Biotop des deutschen Mittelstands.

Literaturtipp: Gerhard Hofmann (Hg.). Frankfurt am Main 2001. Auf dem Weg zu Basel II. Bankakademie-Verlag GmbH.
(von Ulrich Wolf)

Karl Nolle im Webseitentest
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