Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 08.12.2001

Neue Vorwürfe gegen "König Kurt"

Sachsens Opposition fordert geschlossen den Rücktritt von Biedenkopf
 
Dresden - Kurt Biedenkopf (CDU) will sein Amt als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen nach der Bundestagswahl 2002 aufgeben. "Ich bin immer der Meinung gewesen, zwölf Jahre sind genug", sagte der Politiker jüngst. Doch womöglich vollzieht sich die Demission sehr viel rascher als angekündigt.

Zunehmend wird Biedenkopf von einer Affäre eingeholt, die in den wilden Nachwendejahren spielte und die einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss schon seit geraumer Zeit beschäftigt. Dabei tauchen ständig neue brisante Dokumente auf, die zumindest Fragen an der Glaubwürdigkeit des Dresdner Regierungschefs erlauben.

Beim Bau eines Behörden- und Einkaufszentrums im Leipziger Stadtteil Paunsdorf, so vermutet die Opposition seit langem, soll der CDU-Politiker seinen langjährigen Freund, den Kölner Bauunternehmer Heinz Barth, weit über Gebühr unterstützt haben. In dem Komplex sind etliche Behörden des Freistaates unterbracht worden. Angesichts überhöhter Mieten ist die Opposition überzeugt, sei dem Land ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe entstanden.

Diese Behauptung hat Biedenkopf stets zurückgewiesen. Er stellte seinen unbestreitbaren Einsatz für seinen Duzfreund Barth als einen normalen Akt der Investorenbetreuung dar. Vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags bestritt er vehement, bei der Behördenunterbringung Einfluss auf die Gestaltung der Mietkonditionen genommen zu haben. O-Ton: "Das ist ausgeschlossen."

Diese Aussage entspricht nicht der Wahrheit, meint die SPD nun. Biedenkopf habe "nachweislich" gelogen. Fraktionschef Thomas Jurk: "Wer einen Untersuchungsausschuss und damit das Parlament belügt, kann nicht länger Ministerpräsident sein." Am Mittwoch forderten die sächsischen SPD-Abgeordneten einstimmig den Rücktritt von "König Kurt". Zuvor hatte schon die PDS diesen Schritt verlangt.

Auslöser für die geharnischten Vorwürfe ist ein Aktenfund: In einem Schreiben an Biedenkopf vom 29. Juni 1993 listete Paunsdorf-Investor Barth detailliert auf, welche Behörden mit welchen Flächen und zu welchen Konditionen in dem Komplex untergebracht werden sollten. In einem eigenen Brief an den zuständigen Finanzminister machte sich der Ministerpräsident die Vorlage fast vollständig zu eigen: "Es ist beabsichtigt, folgende Behörden des Freistaates am o.g. Standort unterzubringen".

Die Rücktrittsforderung von SPD und PDS haben unterdessen sowohl die Staatskanzlei wie die CDU-Fraktion zurückgewiesen. Vizeregierungssprecher Hartmut Häckel: "Der Ministerpräsident hat nicht gelogen." CDU-Fraktionschef Fritz Hähle verweist auf unbestreitbare Verdienste von Biedenkopf: Dieser habe "viele Investoren nach Sachsen gelenkt".

Trotz solcher Treuebekenntnisse rumort es in Partei und Fraktion. Nicht wenige Christdemokraten sehen Biedenkopf, der schon mit seiner Wohn-, Putz- und Dienstwagenaffäre mehr als ein halbes Jahr für Negativschlagzeilen gesorgt hat, zunehmend als Belastung an. "Mit politischen Sachthemen dringen wir kaum noch durch", meint ein frustrierter Abgeordneter, der nicht genannt werden will.

Offenkundig sägen inzwischen Widersacher aus der eigenen Partei am Stuhl des Sachsenregenten. Am Mittwoch veröffentlichte die Lausitzer Online-Zeitung "Faktuell" vertrauliche Akten - insgesamt 40 Seiten - über eine mögliche Verwicklung von Biedenkopf in die Paunsdorf-Affäre. "Die sind uns von der schwarzen Politik zugespielt worden", behauptet Chefredakteur Chris Lenz.

Jedenfalls beleuchten die Dokumente eine weitere merkwürdige Facette der Angelegenheit. Mit Verfügung vom 5. Juni 1998 stellte die Staatsanwaltschaft Leipzig ihre Ermittlungen zum Komplex Paunsdorf ein. Daraufhin beschwerte sich der Vizechef des Landeskriminalamtes (LKA), Jörg Michaelis, schriftlich beim sächsischen Innenminister. Er kam damals zu dem Schluss, dass die zusammengetragenen Sachverhalte auf Pflichtverletzungen von Amtsträgern hindeuteten. Seit längerem behauptet die Opposition, dass die Ermittlungen "auf Druck von oben" beendet wurden.

Die im Internet lesbaren LKA-Dokumente machen deutlich: Die Paunsdorf-Debatte ist für Biedenkopf noch lange nicht ausgestanden. Sollte der Premier vorfristig das Feld räumen, gibt es nach gegenwärtigem Stand nur einen denkbaren Nachfolger: den neuen Parteivorsitzenden und früheren Finanzminister Georg Milbradt, der von der Basis gegen Biedenkopfs ausdrücklichen Wunsch in das Amt gewählt worden ist.
(von Uwe Müller)


Links ins World Wide Web: Mehr zur Paunsdorf-Debatte: www.faktuell.de

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