Karl Nolle, MdL

welt.de, 31.01.2019

Götz Aly zum NS-Gedenken

 
Eine Rede, die sich die AfD anhören muss

"Götz Alys Rede war von erhabener Sachlichkeit, Anschaulichkeit und Entschiedenheit",

Von Robin Alexander, Chefreporter

Die Rede des Historikers Götz Aly im Thüringer Landtag zum NS-Gedenken sollte jeder nachlesen: Sie nahm allen Zuhörern das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Aly zeigte auch auf, wo bei der AfD die Grenzen des politisch Zumutbaren verlaufen.

Wenn Israel der Opfer des Holocaust gedenkt, ertönen Sirenen, und buchstäblich das ganze Land steht still. Ein solches Symbol hat das Land der Täter nicht. Bei uns findet das Gedenken im Gegenteil immer stärker im politischen Raum statt. Im Bundestag sprach Saul Friedländer. Im Münchner Landtag verließ bei der Gedenkfeier in dieser Woche ein Teil der AfD-Fraktion bei der Rede von Charlotte Knobloch das Plenum.

Zu wenig überregionale Aufmerksamkeit erlangt die Gedenkstunde in Erfurt. Im Thüringer Landtag gibt es eine rot-rot-grüne Mehrheit, mit Bodo Ramelow regiert der erste Ministerpräsident der Linken, also der Nachfolgepartei der SED. Diese aber pflegte ein ganz eigenes Erinnern: Generationen von Heranwachsenden wurden in der DDR – oft bei Besuchen in der in Thüringen gelegenen Gedenkstätte Buchenwald – die Verfolgten des Nationalsozialismus als heroisch kämpfende Kommunisten gezeichnet. Der Mord an Millionen Juden kam, wenn überhaupt, nur am Rande vor. Ebenso die Täter: Sie wären Faschisten, Militaristen und Kapitalisten gewesen – und nach dem Krieg in den Westen gegangen.

Das Milieu der Linkspartei und Teile ihres Apparats haben die Legende von der DDR als besserem Deutschland auch nach der Wende verbissen verteidigt – und tun es heute noch.

Aly stört verlässlich alle Gewissheiten

Umso mehr Respekt gebührt der Einladung, die der rot-rot-grün dominierte Thüringer Landtag in diesem Jahr ausgesprochen hatte: Der Historiker Götz Aly hielt die Gedenkrede. Aly, der seine Karriere Archivarbeit und nicht Gremiensitzungen verdankt, ist der deutsche Historiker, der verlässlich alle Gewissheiten stört.

Nach der Wende trugen seine Funde zur Verurteilung von Stasi-Chef Erich Mielke bei, in „Hitlers Volksstaat“ zeichnete er den Nationalsozialismus als Sozialstaat, von dem gerade einfache Deutsche profitierten. Als Aly einst in der „Berliner Zeitung“ forderte, nicht nur die deutsche Industrie, sondern auch deutsche Rentner sollten in den Fonds zur Entschädigung der Zwangsarbeiter einzahlen, versuchte ihn ein Trupp ergrauter Stammleser des ehemaligen SED-Bezirksblatts zu verprügeln.

Doch auch den Westen schont Aly nicht: Sein Buch „Die Belasteten“ bewies, dass viele vom Behindertenmord der Nationalsozialisten wussten und ihn billigten. Die 68er-Bewegung, der Aly einst selbst angehörte, arbeitete er als „Spätausläufer“ des Totalitarismusproblems des 20. Jahrhunderts auf. Die ritualisierte deutsche Erinnerungskultur warnt er vor der entlastenden Funktion einer Überidentifikation mit den Opfern.

Kurz: Ein Parlament kann sich kaum einen unbequemeren, notfalls politisch unkorrekteren Gastredner einladen. Ein Provokateur ist Aly freilich nicht. Seine Rede in Erfurt sollte jeder nachlesen: Sie war von erhabener Sachlichkeit, Anschaulichkeit und Entschiedenheit. Sie nahm jedem Zuhörer das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Anhand von Tagebucheinträgen zerstörte Aly die Illusion, dass sozialistische Erziehung oder bürgerliche Erziehung die Täter vor ihren Verbrechen gefeit hätte.

Holocaust-Gedenktag

Gegen die historische Schuld helfen weder Gesinnung noch laute Parolen
Die AfD-Abgeordneten erinnerte Aly an die „Vogelschiss“-Rede des Vorsitzenden ihrer Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, der das Recht reklamiert hatte, „stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ – und kontrastierte sie mit den Briefen, die Wehrmachtssoldaten über Gräueltaten nach Hause schickten.

Aly erinnerte auch an die abschätzige Äußerung Gaulands über den in Berlin geborenen deutschen Fußballnationalspieler Jérôme Boateng: „die Leute“ wollten „einen Boateng nicht als Nachbarn haben“, weil seine Hautfarbe nicht weiß sei. Dem stellte er den Erlass eines nationalsozialistischen Thüringer Bildungsministers aus den 30ern gegen „fremdrassige Einflüsse“ entgegen, der explizit „Negertänze, Negergesänge, Negerstücke“ verbietet, „die dem deutschen Kulturempfinden ins Gesicht schlagen“.

Björn Höcke schließlich, den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Thüringer Landtag, nannte Aly einen „rechtsradikalen Ideologen“. Die Volksgemeinschaft, die der Nationalsozialismus der modernen Gesellschaft entgegenstellte, erstehe bei ihm als „solidarischer Patriotismus“ wieder. Die „Strukturen des globalen Geldmachtkomplexes“, die Höcke am Werke sehe, seien eine Neuauflage von Hitlers „jüdischem, internationalen Kapital“.

Björn Höcke und sein völkischer Flügel

Die AfD hat in den vergangenen Wochen mehrere problematische Mitglieder zum Verlassen der Partei bewegt. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke gilt als Wortführer des ultrarechten Parteiflügels. Ein Ausschlussverfahren hat er wohl aber nicht zu befürchten.

Die Beobachtungen des Historikers sind richtig. Und es war auch richtig, dass Aly sie am Gedenktag zum Thema machte. Denn genau hier verläuft die Linie, die diese Partei von den anderen trennt: Nicht ihre zuweilen berechtigte, zuweilen mit absurden Verschwörungstheorien angereicherte Kritik an der Migrationspolitik der Bundesregierung, nicht ihr Zweifel am menschengemachten Klimawandel, nicht ihre maßlose Kritik an der Europäischen Union, nicht ihre Angst vor Islamisierung, nicht ihr Aufbegehren gegen Sprachregelungen ist das Problem. All das muss ein Parlament nicht nur aushalten, sondern auch im politischen Prozess bearbeiten.

Aber die Relativierung der deutschen Verbrechen – auch der Verbrechen der Wehrmacht – eben nicht. Diese Linie hat Gauland bewusst überschritten. Sie trennt ihn auch und gerade von den Bürgerlichen und Konservativen, zu denen er eigentlich sein Leben lang gehörte. Björn Höcke und sein völkisches Gedankengut gehörten nie dazu.

So lange Gauland und Höcke zur AfD gehören, muss sich diese Partei Reden wie die von Aly anhören. Nicht nur am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: