Karl Nolle, MdL

Die Welt, Seite 6, 03.05.2017

Prozess soll endlich Klarheit in den "Sachsensumpf" bringen

 
Gab es das kriminelle Netzwerk von Juristen und Polizisten, verstrickt in Prostitution Minderjähriger, wirklich? Oder ging es nur um Rache?

Zehn Jahre nach Aufflammen der sogenannten Sachsensumpf Affäre stehen nun zwei Hauptakteure vor Gericht. Von diesem Dienstag an müssen sich die ehemalige Verfassungsschützerin Simone H. und der Kriminalpolizist Georg W. vor dem Landgericht Dresden verantworten.

Der damaligen Referatsleiterin des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) wird die Verfolgung Unschuldiger zur Last gelegt, dem Ex-Leiter des Kommissariats für organisierte Kriminalität und Bandenkriminalität der Leipziger Kriminalpolizei Beihilfe dazu. Beide sind außerdem wegen mutmaßlicher Falschaussagen vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags zum "Sachsensumpf' angeklagt.

Worum geht es? Im Mai 2007 hatten Medien erstmals berichtet, dass Dokumente im LfV Hinweise auf ein kriminelles Netzwerk enthielten. Dieses sei unter anderem in die Prostitution von Minderjährigen verwickelt; Richter, Anwälte und Polizisten seien darin verstrickt. Externe Prüfer im Auftrag der Staatsregierung kamen aber zu dem Schluss, dass die Akten der Geheimdienstler bewusst aufgebauscht worden waren. Auch die Ermittlungen der Staatsanwälte belegten die Vorwürfe nicht. Simone H. gilt als verantwortlich für das Zusammentragen der Akten beim Geheimdienst. Georg W. soll ihr Hauptinformant gewesen sein.

Laut der Anklage soll die Affäre in einem mutmaßlichen Rachefeldzug Georg W.s gegen einen damaligen Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft Leipzig begründet sein. Der Oberstaatsanwalt stand der Abteilung für die Verfolgung von Kapitalsachen vor. Gegen Georg W. und weitere Polizisten war 2002 ermittelt worden. Es wurden die Räume des Kommissariats K26 für organisierte Kriminalität und Bandenkriminalität durchsucht. Im selben Monat endete Georg W.s Zeit als Kommissariatsleiter. Der Anklage zufolge soll der Polizist den damaligen Oberstaatsanwalt für die "zentrale Figur in diesen Ermittlungen gehalten haben". Die Zusammenarbeit mit Verfassungsschützerin Simone H. soll er als Möglichkeit gesehen haben, sich an dem Strafverfolger zu rächen.

H. leitete damals das Referat Organisierte Kriminalität im LfV, dem rund ein Dutzend Mitarbeiter angehörte. Dieses wurde im Juni 2006 aufgelöst; zwischen 2004 und 2006 hatten H. und ihre Mitarbeiter zu Fällen mutmaßlicher organisierter Kriminalität - die auch den angeblichen "Sachsensumpf' betrafen - rund 100 Aktenordner mit etwa 15.600 Seiten angelegt.

Im Mai 2007 erstellte Simone H. dann ein "Behördenzeugnis", das laut Anklage an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden gerichtet war und "Erkenntnisse zu kriminellen Personennetzwerken" enthalten haben soll, die einen "strafrechtlichen Anfangsverdacht" begründen würden. Wenige Tage zuvor hatte die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags in Übereinstimmung mit dem damaligen Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) beschlossen, dass die Akten des Verfassungsschutzreferats zur strafrechtlichen Aufklärung genutzt werden sollten. Im Juni 2007 hielt Buttolo eine Rede im Landtag zum "Sachsensumpf', die als "Mafia-Rede" bekannt wurde.

Dieses "Behördenzeugnis" von Simone H. vom Mai 2007 ist nun die Grundlage für die Vorwürfe der Verfolgung Unschuldiger gegen sie und Georg W. Das Landgericht Dresden verweist unter Bezugnahme auf die Anklage darauf, dass die darin dokumentierten Erkenntnisse im Wesentlichen auf Vermutungen und Gerüchten beruhen sollen. Diese sollen in mehreren Besprechungen von Simone H. vor allem mit Georg W. und unter Rückgriff auf Presseberichte zusammengetragen worden sein - ohne diese Umstände offenzulegen.

Der Dresdner Anwalt Thomas Giesen, einer von H.s Verteidigern, hält diese Sicht für falsch. Er verweist darauf, dass seine Mandantin neben Georg W. noch zahlreiche andere Quellen für ihre Aktenvermerke genutzt habe. Diese allerdings dürfe Simone H. nicht benennen, weder dem Gericht gegenüber noch ihm als Anwalt, da die Beamtin nur eine sehr eingeschränkte Aussagegenehmigung erhalten habe. Giesen weiter: "Nach der Abgabe der Erkenntnisse des Behördenzeugnisses durch meine Mandantin hätte die Generalstaatsanwaltschaft damals prüfen müssen, ob an den Ermittlungen etwas dran ist." Denn der Verfassungsschutz sei als Geheimdienst keine Strafverfolgungsbehörde; diese Funktion komme Staatsanwaltschaften und der Polizei zu.

Dieser Verweis spielt für Giesen auch eine wichtige Rolle, um dem Vorwurf der Verfolgung Unschuldiger zu begegnen. Er sagt, der entsprechende Paragraf des Strafgesetzbuches könne nicht auf Mitarbeiter des Verfassungsschutzes angewandt werden: "Nur Angehörige der Justiz und Polizei können Unschuldige verfolgen, nicht Beamte von Geheimdiensten." Paragraf 344 beziehe sich wörtlich auf einen "Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren ... berufen ist". Eine weitere Hürde für eine mögliche Verurteilung seiner Mandantin sieht Giesen darin, dass Simone H. Vorsatz nachgewiesen werden müsste. Sie hätte also 2007 wissen müssen, dass die in den Akten genannten Verdächtigten unschuldig sind. Sollte sie am Ende nicht wegen der Verfolgung Unschuldiger verurteilt werden können, könnte auch Georg W. nicht wegen Beihilfe bestraft werden. Giesen und seine Kollegin Lina Addicks wollen einen Freispruch für H. erreichen, die heute in der Landesdirektion Sachsen arbeitet. Die Anwälte von Georg W. wollten sich vor Prozessbeginn nicht äußern.

Auch beim Anklagepunkt der Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss strebt Giesen einen Freispruch an. Laut Anklage soll H. dort Anfang 2009 die Unwahrheit gesagt haben. Bei Georg W. soll dies am Ende 2008/Anfang 2009 der Fall gewesen sein. Der Rechtsanwalt verweist darauf, dass auch dabei seiner Mandantin Vorsatz nachgewiesen werden müsste. Hätten Simone H. und Georg W. fahrlässig falsche Angaben vor dem Ausschuss gemacht, sei dies nicht strafbar. An 25 Verhandlungstagen soll die Dritte Strafkammer des Dresdner Landgerichts über die Anklage verhandeln. Diese war schon 2010 erhoben worden. Für die Verfolgung Unschuldiger sieht das Strafgesetzbuch Haftstrafen zwischen einem und zehn Jahren vor, bei einer falschen uneidlichen Aussage zwischen drei Monaten und fünf Jahren. Eine Verurteilung hätte zudem Konsequenzen für die Disziplinarverfahren, die gegen beide Beamten laufen.

SVEN EICHSTÄDT

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: