Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 12.11.2014

Grüne: CDU soll Unrecht aufarbeiten/ "Unrecht ging nicht nur von der SED aus"

 
Sachsens Grünen-Fraktionschef Volkmar Zschocke fordert in der Debatte um Thüringer Linksbündnis ehrlicheren Umgang der CDU ein

DRESDEN - Sachsens Grüne sehen nicht nur bei der Linken, sondern auch bei der CDU Versäumnisse bei der DDR-Aufarbeitung. "Wir können uns ja nicht hinstellen und sagen, das DDR-Unrecht ging ausschließlich von der SED aus", sagte Grünen-Chef Volkmar Zschocke der "Freien Presse". Auch die Block-CDU habe zu den systemtragenden Parteien gehört. Die Warnung des früheren Vize-Kreisgeschäftsführers und heutigen Landtagsfraktionschefs Frank Kupfer vor einem Linke-Ministerpräsidenten in Thüringen nannte Zschocke unglaubwürdig. Sachsens CDU habe "durch die Dämonisierung der Linken immer dafür gesorgt, dass dort die rückwärtsgewandten Kräfte gestärkt werden", (tz)

Interview

Chemnitz - Vor acht Wochen steckten Sachsens Grüne noch in Sondierungen mit der CDU. Heute muss Stanislaw Tillich bei seiner Wiederwahl als Ministerpräsident ohne Grünen-Hilfe auskommen. Mit ihrem Führungsduo Claudia Maicher und Volkmar Zschocke sprachen Torsten Kleditzsch, Christoph Ulrich und Tino Moritz.

Freie Presse: Wenn nichts dazwischen kommt, wird in Thüringen demnächst Rot-Rot-Grün regieren. Ist das auch der Plan der Grünen in Sachsen?
 
Claudia Maicher: Wir Grüne lassen uns von Inhalten leiten. Wir wollen unsere Konzepte in Regierungsverantwortung umsetzen. In Thüringen scheint das möglich zu sein, es soll dort keinen Neubau von Massentieranlagen, ein Klimaschutzgesetz und die Schuldenbremse in der Verfassung geben.
 
Wie viele sächsische Grüne hätten ein Problem mit einem Linke-Ministerpräsidenten ?

Maicher: So eine Erklärung zum DDR-Unrechtsstaat, wie sie Rot-Rot-Grün in Thüringen verabschiedet hat, wäre auch in Sachsen die Voraussetzung. Wer Verantwortung für die Zukunft übernehmen will muss Verantwortung für die Vergangenheit tragen.
 
Was müsste Sachsens Linke denn konkret erklären?

Volkmar Zschocke: Wir wünschen uns Klarheit und Eindeutigkeit in der Bewertung des DDR-Systems, in dem schweres Unrecht geschehen ist. Ein Unrechtsstaat muss auch als solcher bezeichnet werden. Die Grenze ist für uns erreicht, wenn Menschen das Repressionssystem der DDR verherrlichen.
 
Solche Leute treffen sich ja bei den Linken im Rothaus hier in Chemnitz. Reden Sie darüber bereits mit der Linken?

Zschocke: Ich habe darüber mit Linken-Chef Rico Gebhardt diskutiert und im Übrigen auch mit Klaus Bartl, der im Bezirk Karl-Marx-Stadt Abteilungsleiter Staat und Recht war und in dieser Funktion alle Stasi-Berichte vorliegen hatte, die über mich angefertigt worden waren.

Und hat es was gebracht?

Zschocke: Wenn man Unrecht aufarbeiten will, ist das wirkungsvoller, wenn es gemeinsam mit denen geschieht, die damals Verantwortung trugen. Diesen Schritt ist die sächsische CDU nie gegangen. Sie hat durch ihre Dämonisierung der Linken immer dafür gesorgt, dass dort die rückwärtsgewandten Kräfte gestärkt werden.

Sehen Sie bei der ehemaligen Blockpartei CDU einen ähnlichen Aufarbeitungsbedarf wie bei der Linken?

Zschocke: Wir können uns ja nicht hinstellen und sagen, das DDR-Unrecht ging ausschließlich von der SED aus. Es gab systemtragende Parteien. Sich hinzustellen und auf die .Kommunisten' in Thüringen zu schimpfen, wie es der CDU-Fraktionschef Frank Kupfer tut, das ist unglaubwürdig.

Wie erklären Sie sich diese Kritik von Kupfer?
 
Zschocke: Man muss sich nur seine Biografie anschauen ...
 
... Kupfer arbeitete zu DDR-Zeiten als hauptamtlicher Vize-Kreisgeschäftsführer der CDU...
 
Zschocke: ...Wir müssen ehrlicher miteinander umgehen. Dabei geht es nicht darum, den Stab über die Biografien Einzelner zu brechen. Es geht darum, wie derjenige heute dazu steht.

In Ihren Sondierungen mit der CDU war das aber kein Thema. Warum haben Sie sich gegen Schwarz-Grün entschieden?
 
Maicher: Die entscheidenden Modernisierungsprojekte waren mit der CDU nicht umsetzbar. Für die CDU gab es offensichtlich mehr Gemeinsamkeiten mit der SPD.
 
Wo hätte sich die CDU aus Ihrer Sicht mehr bewegen müssen?
 
Maicher: Wir wollten vor allem einen verlässlichen Einstieg in den Braunkohle-Ausstieg. Und der war mit der CDU nicht möglich und nicht gewollt. Das zeigt ja jetzt auch der Koalitionsvertrag von CDU und SPD.

Zschocke: Wir waren da nicht sehr radikal. Wir wollten erst einmal nur sicherstellen, dass es keine neuen Tagebaue in Sachsen gibt. Dass nicht weitere Menschen ihre Heimat verlieren und Natur zerstört wird.

Wie viele ihrer Parteifreunde trauern der vergebenen Chance auf Schwarz-Grün nach?

Maicher: Auf dem Parteitag in Leipzig haben nicht mal 10 von 130 Delegierten gegen die Absage an Koalitionsverhandlungen gestimmt.

Was werden die Grünen tun, damit sie in fünf fahren einen Schritt weiter kommen und mitregieren können?
 
Maicher: Unsere Aufgabe ist es, mehr Wählerinnen und Wähler von unseren guten Konzepten zu überzeugen

Werden Sachsens Grüne sich strategisch neu ausrichten?

Zschocke: Warum? Wir kommen aus der Bürgerrechts und Umweltbewegung der DDR. Demokratie und Ökologiefragen sind heute noch genauso aktuell. Wir haben bei den Kommunalwahlen im Mai zulegen können, weil wir mit vielen vor Ort engagierten Leuten für grüne Ideen geworben haben. So werden wir in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen.

Sachsens Grünen-Spitzenduo Volkmar Zschocke führt Sachsens Grüne seit knapp fünf Jahren. Nach der mit 5,7 Prozent eher mäßig ausgegangenen Landtagswahl am 31. August wurde der 45-jährige Chemnitzer zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. 2005 bis 2009 war der Sozialpädagoge Mitarbeiter des damaligen Grünen-Abgeordneten Johannes Lichdi. Claudia Maicher gehört ebenfalls erst seit wenigen Wochen dem Landtag an. Die Leipzigerin steht seit vier Jahren an der Spitze der sächsischen Grünen, Mitte September wurde die 36-Jährige zu Zschockes Fraktionsvize gewählt. Dafür zieht sich die Soziologin in Kürze ebenso wie Zschocke von der Parteispitze zurück, (tz)

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