DNN/LVZ, 12.07.2012
Fiasko für Sachsens Geheimdienst
Kommentar von Jürgen Kochinke
Jetzt hat es also den dritten Geheimdienst-Boss in Deutschland erwischt. Nach dem Chef des Bundesamtes und dessen Thüringer Kollegen tritt der Sachse Boos zurück, und der interessierte Bürger fragt sich verdutzt: Was kommt als nächstes heraus, zu welchem Skandal sind die Nachrichtendienste noch alles gut? Denn was immer die Verfassungsschützer im Falle der Neonazi-Zelle NSU auch angestellt haben: Viel zu oft ist es eine Mischung aus verkorkstem Dienstverständnis und Schlamperei - mindestens. Im schlimmsten Fall aber ist es die bewusste Täuschung der Öffentlichkeit.
Was sich festzusetzen droht, ist ein fataler Eindruck: Die Behörde, die uns vor Verfassungsfeinden schützen soll, ist selbst das Problem. Denn wer in solch einem brisanten Fall wie dem rechtsextremen Terror noch nicht einmal zu einer sauberen Aktenführung in der Lage ist, hat nicht viel Vertrauen verdient. Und wer sich und die eigenen V-Leute - aus welchen Gründen auch immer - zu schützen versucht, indem er mit Halbwahrheiten und Sperrvermerken hantiert, dem kann alles Mögliche unterstellt werden, nur kein Wille zu ernsthafter Aufklärung.
Das gilt in der gesamten Republik, besonders aber für Sachsen.
Denn hierzulande war es lange Zeit üblich, die Schuldigen im Nachbarland zu suchen. Die Thüringer sollen es gewesen sein, mehr oder weniger - so lautete die billige Losung noch vor gut einer Woche. Kein Versagen der sächsischen Polizei, "kein pflichtwidriges Unterlassen" beim Verfassungsschutz. Diese Variante ist seit gestern Makulatur. Für Sachsens Innenminister Ulbig aber wird das zum Problem. Zwar kann er darauf verweisen, er habe es nicht besser gewusst, und das kann sogar stimmen. Eine souveräne Figur macht er damit aber nicht.
Die Konsequenz aus dem aktuellen Fiasko kann nur lauten: Der Inlandsgeheimdienst muss auf allen Ebenen auf den Prüfstand, und der Militärische Abschirmdienst gleich mit. Und es muss endlich Schluss sein mit Vertuschungsaktionen und Schwarzer-Peter-Spielen. Denn egal wie brisant die Akten aus Sachsen nun sind - allein die Tatsache, dass Abhörprotokolle "plötzlich" auftauchen, als handele es sich um eine vergessene Briefmarkensammlung, ist Skandal genug. Sollte sich am Ende gar herausstellen, dass der Geheimdienst tiefer verstrickt ist in die Machenschaften des Neonazi-Trios, der Staatsschutz wäre passé. Das Schlimme ist, es gibt kaum noch jemanden, der den Diensten nicht auch noch das zutrauen würde.