Karl Nolle, MdL
Stuttgarter Zeitung, 26.06.2002
Ostdeutsche Musterschüler - Sachsen hat ein strenges Schulsystem und wenig Ausländer
Beim Ländervergleich ist Sachsen auf Platz drei gelandet
DRESDEN. Beim Ländervergleich ist Sachsen auf Platz drei gelandet und hat nur Bayern und Baden-Württemberg den Vortritt lassen müssen, und das, obwohl es am wenigsten Geld in die Bildung investiert.
Gute Bildung ist eben doch keine Frage des Geldes. Der Freistaat Sachsen zum Beispiel, seit zwölf Jahren von besonders knauserigen Finanzministern regiert, hat die geringsten Ausgaben pro Schüler im Bundesvergleich - lediglich 3600 Euro pro Jahr geben die Ostdeutschen aus (siehe Grafik rechts oben). Trotzdem liegt Sachsen unter allen Ländern auf Rang drei - nur Bayern und Baden-Württemberg steht davor. Was die Lesekompetenz anlangt, die Grundbildung und die mathematischen Fähigkeiten, können die 15-Jährigen in Dresden, Leipzig und Chemnitz glänzen. Die "größte Überraschung" sei Sachsen, hat Andreas Schleicher erklärt, der für die internationale Pisa-Studie zuständige Koordinator der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung).
Was macht Sachsen anders? In Sachsen baut wie in anderen ostdeutschen Ländern der Unterricht weit gehend auf dem alten, schon zu DDR-Zeiten aktiven Lehrerpersonal auf. Schüler, Lehrer und Eltern mussten mit dem schwierigen Umbruch des politischen Systems zurechtkommen. Dies sind Bedingungen, die genauso waren wie in Mecklenburg, Brandenburg und Thüringen. Trotzdem sind die Sachsen nun die Musterschüler, während die Brandenburger und Sachsen-Anhaltiner gemeinsam mit den Bremern nachsitzen müssen.
Viele Erklärungen hat Matthias Rößler dafür, der siebeneinhalb Jahre lang bis vor wenigen Monaten als Kultusminister für die Schulpolitik verantwortlich war. "Wir haben von Anfang an klar auf Leistung gesetzt", sagt der CDU-Mann. Außerdem habe sich Sachsen bald nach der Wende für ein Schulmodell entschieden und dies strikt bis heute durchgehalten. Experimente wie in Sachsen-Anhalt, wo das Kabinett Höppner nach 1994 das 13. Schuljahr und die Förderstufen einführte, gab es in Sachsen nicht. Und die sechsjährige Grundschule, das Brandenburger Modell, wurde in Dresden auch strikt abgelehnt.
Der sächsische Weg zeichnet sich durch besondere Strenge und Rigorosität aus. Vor Jahren, als in Meißen ein 15-jähriger Schüler seine Lehrerin in der Schule erstochen hatte, wurde viel geklagt über den "zu großen Stress" in Sachsens Schulen. Heute nun überwiegen in der Bewertung die Vorzüge der strikten Pädagogik. Die Kinder werden früh eingeschult - im Schnitt mit 6,3 Jahren, nicht 6,9 wie im bundesweiten Mittel. In der zweiten Grundschulklasse gibt es schon Noten, und auch das Verhalten im Unterricht und die Aufmerksamkeit wird im Zeugnis vermerkt. Nach Klasse vier wird eine Empfehlung gegeben, ob das Kind an das Gymnasium oder die Mittelschule (eine Fusion von Haupt- und Realschule) wechseln soll. Der freie Elternwille ist hier stark eingeschränkt.
Soll ein Kind trotz Mittelschulempfehlung an das Gymnasium, so muss es eine Aufnahmeprüfung in Mathematik, Deutsch und Sachkunde leisten. Wer durchfällt, muss auf die Mittelschule. Nach Klasse fünf, sechs und zehn besteht die Möglichkeit zum Aufstieg - für Gymnasiasten auch zum Abstieg. Es gibt zentrale Abschlussprüfungen für alle Mittelschulen und Gymnasien. Auf Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen, Naturwissenschaften und Geschichte wird dabei großer Wert gelegt. Diese Regelung ermöglicht es den Bildungspolitikern auch, die guten von den weniger leistungsstarken Schulen zu unterscheiden. Mit 26 Prozent Abiturienten je Jahrgang steht der Freistaat gut da. Und soziale Auslese, sagt Rößler, gebe es kaum. Dies hätten Untersuchungen bewiesen: "Das Einkommen und der Bildungsstand der Eltern wirkt sich so gut wie nicht auf die Schullaufbahn der Kinder aus", sagt Rößler.
Trotzdem gibt es in Sachsen nun eine Bildungsdebatte. Die Opposition aus SPD und PDS will mehr Ganztagsangebote. "Es ist besser, wenn die Kinder auch nachmittags mit Lehrern zusammen sind, gemeinsam Sport treiben und Schulaufgaben leisten", meint der SPD-Abgeordnete Karl Nolle. "100 neue Ganztagsschulen" halte er deshalb für sinnvoll. Rößler hält dagegen, dies sei "unbezahlbar, selbst wenn der Bund kräftige Zuschüsse gibt". Allerdings haben die Sachsen heute schon Elemente von Ganztagsbetreuung. Wie früher in der DDR üblich wird durchweg ein Mittagessen in der Schule angeboten. Und an den Gymnasien gibt es ohnehin viel Nachmittagsunterricht.
Liegt das gute Abschneiden Sachsens daran, dass wenig ausländische Kinder die Schulbank drücken? Wenn es so wäre, dann müssten Brandenburg und Sachsen-Anhalt auch gut abschneiden, denn auch dort liegt der Anteil unter fünf Prozent. Nein, sagt Rößler, förderlich sei wohl das feste Vertrauen der Politik auf ein bewährtes Schulmodell. "Die Bildungspolitik ist ein großer Tanker. Den muss man langsam und vorsichtig steuern, wenn er nicht auf Grund laufen soll."
(Klaus Wallbaum)