Karl Nolle, MdL

Deutschlandfunk, Kultur-Heute, 17.35 Uhr, 13.11.2002

Ende einer Herzenssache

Der Junius Verlag verliert seine einzige Lektorin
 
Dass geisteswissenschaftliche Literatur für Verleger kein übermäßig lukratives Geschäft ist, wussten wir schon, aber wie nun im kleinen Hamburger Junius-Verlag einer vorzüglichen Taschenbuchreihe die Perspektiven geraubt werden, verdient doch einen klagenden Zwischenruf: "Zur Einführung" heißt die Reihe, die berühmte Denker und Schriftsteller vorstellt, und unter Philosophen und Literaturwissenschaftlern gelten ihre Bände als probate Handreichung für Studenten und interessierte Laien. Ein wissenschaftlicher Beirat stand bislang der Edition unentgeltlich mit Rat und Tat zur Seite, sondierte Themen, empfahl geeignete Autoren.

Aus, Schluss, vorbei. Denn die Lektorin hat zum Jahresende die Kündigung erhalten, aus "betriebswirtschaftlichen Gründen", wie der Verlagseigner Karl Nolle sagt. Das Dumme daran: die gechasste Lektorin ist die einzige im Haus. Nun will der empörte Beirat seine Mitarbeit beenden, Autoren wollen Verträge über bereits projektierte, aber noch nicht erschienene Bücher kündigen. Der renommierten Reihe steht damit eine Zukunft bevor, die keine ist: bloß noch als Backlist.

Der Fall ist lehrreich. Zum einen wirft er ein Schlaglicht darauf, wie weit es im Verlagswesen mit dem bei Unternehmensberatern so beliebten "Outsourcing" gekommen ist: Heute glauben Verlage tatsächlich, sie könnten ihr Lektorat allein mit freien Mitarbeitern besorgen. Zum anderen gibt der Fall eine Kostprobe von der Moral eines erklärtermaßen "linken" Unternehmertums. Karl Nolle, ein Weggefährte des Bundeskanzlers aus den frühen Hannoveraner Tagen als Jungsozialist, hat in den sechziger Jahren angefangen, mit einer kleinen Druckerei die Flugschriften eines Sozialistischen Arbeitskreises zu drucken. Noch heute kehrt Nolle gern seine Aktivistenzeit und seine Volksnähe heraus, etwa wenn seine damalige Entfremdung von Gerhard Schröder mit den Worten erklärt: "Die einen wollten nach oben streben, die anderen leisteten Basisarbeit."

Aktivist ist Nolle noch immer. Als gefürchtetste Kampfwaffe der Dresdner Sozialdemokraten wühlt er in der schmutzigen Wäsche der sächsischen CDU und hat maßgeblich zur Abdankung von "König Kurt" Biedenkopf beigetragen. Zusammen mit seiner Frau führt Nolle ein großes Unternehmen, das Dresdner Druckhaus; er ist Millionär und Kunstfreund geworden und pflegt seinen Ruf als Mäzen des Dresdner Kupferstichkabinetts. Zum Wirtschaftsminister oder auch Oberbürgermeister hätte es der rührige Wessi in seiner neuen sächsischen Heimat gern gebracht.

Es gab einmal eine Zeit, da nannte Nolle die Reihe "Zur Einführung" seine "Herzenssache". Aber der Junius-Verlag liegt nicht in Sachsen, Hamburg ist weit weg, fernab aller Nolleschen Wahlkampfzonen, und mit dem Erhalt einer philosophisch-literarischen Buchreihe lässt sich im tagespolitischen Hickhack kein Blumentopf gewinnen. Das verändert, wie man sieht, auch die Herzenssachen.
(Ein Beitrag von Joachim Günthner)

----------------------------------------------------------------------

Kommentar von Karl Nolle: "Wenn Joachim Günthner sich tatsächlich nicht nur mit geistigen sondern auch einigen wenigen Fragen der Ökonomie kleiner und feiner Verlage befasst hätte, so hätte er sicher darüber geschrieben, dass auch kleine linke Verlage keine Insel der Glückseeligen sind, dass das kleine Einmaleins von Soll und Haben nicht so einfach durch philosophisches Handauflegen oder Beschwören von in die Tage gekommenen ideologischen Geistern außer Kraft gesetzt werden kann.

Was wäre die einfache Nachricht gewesen? Aus meiner Sicht als Verleger: Da hat ein kleiner Verlag die betriebswirtschaftliche Bremse gezogen (das tun viele). Der kleine Verlag hat der Lektorin einer anerkannten Reihe eine künftig feste freie Mitarbewit als Außenlektorin angeboten (das tun viele). Der kleine Verlag hat so die Bedingungen geschaffen, die anerkannte und eingeführte Reihe weiter verlegen und lektorieren zu können (das tun wenige, die vielen machen einfach die Schotten dicht).

Ein wissenschaftlicher Beirat erteilt Ratschläge. Diese hat der kleine Verlag auch meistens angenommen. Aber eben nur meistens, denn manchmal hat er auch eine eigene Meinung.

Zwischen Weitermachen wie bisher oder die Reihe zum Ende zu bringen, ist der Kompromiss: "die Reihe retten mit einer anderen Kostenstruktur". Wenn daran die jetzigen Beirater nicht mehr mitwirken wollen, schade, aber warum sollte es deshalb künftig keine Autoren und Beirater mehr geben, Herr Günthner?

Viele Fragen, die hätten gestellt werden können. Ich antworte: "Wir haben gerade das getan, was zum Weiterleben der Reihe notwendig ist". Aber dazu passt natürlich Ihre Überschrift nicht ...