Karl Nolle, MdL

DER SPIEGEL Heft 45/2002, Seite 46, 04.11.2002

AFFÄREN: Verräterisches Band

In einem grotesken Kriminalfall gerät Sachsens höchster Polizist unter Druck: Ein V-Mann soll einen vermutlich Unschuldigen regelrecht hereingelegt haben.
 
Das Corpus delicti ist fünf Zentimeter lang und 2,5 Zentimeter breit. Auf der Mikrokassette, Olympus MC 6o sind Gespräche zweier Männer zu hören. Eines, rund 15 Minuten lang, wurde auf einer Parkbank geführt, das andere, 2o Minuten lang, im Büro. Zwar rauscht und hallt es mitunter recht kräftig auf dem Band, aber beinahe jedes Wort der vertraulichen Treffen im Oktober 1995 ist gut zu verstehen.

Der Inhalt des jetzt aufgetauchten Bands ist für die sächsischen Polizeibehörden brandgefährlich. Denn die Kassette lässt nicht nur einen grotesken Kriminalfall aus der ostdeutschen Provinz in einem ganz anderen Licht erscheinen. Sie legt vor allem den Verdacht nahe, dass ein V-Mann mit Wissen von Beamten des Landeskriminalamts einem unbescholtenen Bürger eine Falle stellte, die diesem eine dreijährige Gefängnisstrafe einbrachte. Und noch schlimmer; Die Beamten hielten möglicherweise still, um eine dubiose Abhöraktion zu vertuschen.

Im November 1996 hatte das Landgericht Chemnitz Kurt Fischer, den ehemaligen Chef der Kreissparkasse Hainichen in Mittweida, zu drei Jahren Haft verurteilt, Die Richter hielten es für erwiesen, dass Fischer den Regensburger Privatdetektiv Rainer Kapelke am 21. Oktober 1995 bei einem Treffen in einem Münchner Park angeheuert hatte, um den Landrat des Kreises Mittweida, Andreas Schramm, zu entführen. Angeblich wollte Fischer damit 16 Millionen Mark Lösegeld erpressen.

Die Richter stützten sich vor allem auf die Aussagen des Privatdetektivs. Was sie nicht wussten: Spürnase Kapelke hatte schon mehrfach für Geheimdienste und die Polizei gearbeitet. Diesmal schaltete er die Fahnder ein, kurz nachdem Fischer ihn angeblich für die Entführung angeheuert hatte. Präzise gab er später zu Protokoll, wie der Banker sich die Details gedacht haben soll.

Einen „genialen Plan“ erklärte er, soll Fischer ihm auf einer Bank eines Parks in München erklärt haben. Schramm sollte während Fischers Urlaubs auf Teneriffa entführt und nach Zahlung eines Lösegeldes wieder freigelassen werden. Das Erdloch, in dem das Lösegeld deponiert werden sollte, so gab Kapelke das Gespräch wieder, wollte Fischer rechtzeitig vorbereiten.

Nur: Auf dem jetzt aufgetauchten Mitschnitt dieses Gespräches findet sich von all dem überhaupt nichts. Der Banker erkundigt sich da nur, was denn die Recherchen Kapelkes in der Causa Schramm machen: Fischer hatte den Detektiv in der Tat beauftragt, die DDR-Vergangenheit des Landrats auszuforschen - mehr aber offenbar nicht. Der Banker und Schramm lieferten sich damals erbitterte Gefechte um die Sparkassenpolitik.

Von einer Entführung aber spricht auf dem Band allein Detektiv Kapelke („ein paar Tage verschwinden lassen"). Fischer reagiert darauf sogar eher belustigt „Nicht dass Sie da auf irgendeinen Schmarrn kommen, ich sehe auch gerne Krimis."

Wie dieses Band, das den Banker entlastet, zu Stande kam, ist noch unklar, Sowohl Kapelke, der bis heute bei seiner Version bleibt, als auch Fischer bestreiten, die beiden Gespräche geschnitten zu haben. Sicher ist nur: Nachdem Detektiv Kapelke seinen LKA-Kontaktleuten von dem angeblichen Plan erzählt hatte, liefen alle Vorbereitungen für das Verbrechen nach dem Drehbuch der Polizei. Den Laptop, auf dem der Detektiv Entwürfe für Erpresserbriefe verfasste, stellte das LKA. Jedes Telefongespräch mit Fischer führte Kapelke im Beisein von Fahndern. Die unorthodoxen Methoden waren auch in der Behörde umstritten. Ein Ermittler: „Das hat doch mit der Verhinderung eines Verbrechens nichts zu tun."

Doch der damalige und heutige LKA-Chef Peter Raisch war in dem Fall nicht mehr zu bremsen. Die ganze Klaviatur sollte gespielt werden: Telefonanschlüsse wurden angezapft, per Richtmikrofon ließ Raisch Fischers Mittweidaer Domizil belauschen - etwas außerhalb der Legalität: Seine Beamten hatten den Großen Lauschangriff gestartet bevor sie die Genehmigung eines Richters dafür hatten, angeblich zur Probe.

Dass die Gespräche im Oktober zwischen Kapelke und Fischer, ebenfalls illegal mit Wissen oder gar im Auftrag des LKA mitgeschnitten wurden, bestreitet LKA Sprecher Lothar Hofner: „Uns sind auch keine Mitschnitte von solchen Gesprächen aus der damaligen Zeit bekannt."

Wer auch immer lauschte oder aufnahm, soviel steht fest: Seit nunmehr fast vier Jahren kann sächsischen Ermittlungsbehörden die Existenz von Mitschnitten aber schwerlich verborgen geblieben sein. Im wieder aufgerollten Verfahren vor dem Landgericht Zwickau 1998, da war Fischer nach zwei Jahren Haft bereits wieder frei, legte er zu seiner Entlastung ein Tonband vor, das einen vierminütigen Ausschnitt des Gesprächs mit Kapelke am 26. Oktober 1995 enthielt. Ein offenbar wohlmeinender Anonymus hatte Fischer den Mitschnitt zugespielt.

Doch die Richter durften ihn nicht hören. Noch im Gerichtssaal ließ die Staatsanwaltschaft das Band beschlagnahmen, die Begründung: Es müsse erst geprüft werden. Fischer forderte das Band dann zurück. Die Staatsanwaltschaft will es auch abgeschickt haben. Bei Fischer ist es aber nie angekommen.

Ein Band mit, dem kompletten Gesprächsinhalt wurde jetzt dem SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle zugespielt. Prompt erstattete der Parlamentarier am Freitag vergangener Woche Strafanzeige wegen des „Verdachts der Beweisunterdrückung".
(von Andreas Wassermann)