Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemnitz, 12.10.2002
Die Abrechnung nach der Flut
Landtag diskutierte über Katastrophe und Alarm - Innenminister in der Defensive
DRESDEN. „Sie sind ein ehrlicher, idealistischer Mann“, schmeichelte SPD-Fraktionschef Thomas Jurk. Der Tiefschlag folgte nach dem Komma. „...doch ich fürchte, das Ministeramt ist eine Nummer zu groß für Sie.“ Es blieb nicht der einzige Wirkungstreffer gegen Horst Rasch. Die Opposition im Sächsischen Landtag zählte den neuen Innenminister an, bezeichnete seine Ernennung als „gravierenden Fehlgriff“. Versagt habe Rasch bei der Bewältigung der Flutkatastrophe und mit ihm das gesamte System des Katastrophen-Managements.
SPD und PDS forderten den Rücktritt des Innenministers. „Rasch hat mein Vertrauen“, hielt Ministerpräsident Georg Milbradt dagegen. Die CDU-Fraktion klatschte lauwarm Beifall.
Rasch hätte spätestens am Nachmittag jenes 12. August, als deutlich wurde, was auf Sachsen zu rollte, die Leitung des gesamten Katastrophenstabes übernehmen müssen, kritisierte SPD-Jurk. Die Menschen hätten flächendeckend und koordiniert vorgewarnt und damit bedeutende Sachwerte gesichert werden können. „Nichts von alledem ist passiert“, schleuderte Jurk dem Kabinetts-Novizen entgegen. „Sie haben die Bevölkerung mit ihren lokalen Verantwortungsträgern buchstäblich im Regen stehen lassen.“
Ein landesweiter Katastrophenalarm hätte keinen Sinn gemacht, konterte Rasch und verwies auf die Lausitz oder Leipzig, die vom Hochwasser nicht betroffen waren. Den Vorwurf, während der Flut „abgetaucht“ zu sein, griff er auf, um an etlichen Beispielen aufzuzeigen, wo er Flagge gezeigt hatte. Doch räumte er ein, es sei ein Fehler gewesen, keine Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache betrieben zu haben.
Die unzureichende Warnung der Bevölkerung vor dem herannahenden Hochwasser, den „Wirrwarr von Zuständigkeiten“ hielt PDS-Sprecher Andre Hahn dem Innenminister vor. Sein Hinweis auf Menschen, die 13 Stunden auf einer Hausmauer in Weesenstein auf den rettenden Hubschrauber warten mussten, lockten auch den Ministerpräsidenten zu einer Entgegnung. Er habe sich persönlich um den Helikoptereinsatz bemüht. Im übrigen regte er an, den Bericht der Kirchbach-Kommission abzuwarten. Milbradt verteidigte die Berechtigung eines dezentral gesteuerten Einsatzes.
Ins gleiche Horn stieß Justizminister Thomas de Maiziere. Auch ein zentraler Alarm hätte nichts an der Zuständigkeit der Bürgermeister oder Landräte vor Ort geändert. Der Zuspruch des Kollegen erfreute den bedrängten Innenminister Rasch ebenso wie den Regierungschef Milbradt: „Wir haben eine gute Teamleistung unter einem guten Teamchef vollbracht“.
Anders sah das SPD-Nolle. „Grimms Märchen“ erscholl sein Zwischenruf.
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Leitartikel: Stellvertreterkampf - Opposition will Milbradts Personalschwäche schonungslos nutzen
Opposition will Milbradts Personalschwäche schonungslos nutzenVon Hubert Kemper
Zupackend, entscheidungsstark: So stellt man sich einen Innenminister vor. Will er populär sein, darf er gelegentlich mit markigen Sprüchen auffallen.
Bundesweite Bekanntheit sichern radikale Forderungen, am besten zu Themen wie Recht und Ordnung. Horst Rasch passt nicht in dieses Profil. Sachsens neuer Innenminister ist ein sympathischer, ruhig abwägender Mann.
Als die Flut kam, mag er froh gewesen sein, dass sein Chef das Heft des Handelns und die Fernsehauftritte übernahm. Der Ministerpräsident heimste Lob für Macherqualitäten und höhere Bekanntheitswerte ein, der Innenminister kassierte die Prügel für sein „Abtauchen“.
Die Opposition in Sachsens Landtag hat die erste Schwachstelle in Milbradts Ministerriege entdeckt. Zwei Monate von der Regierung überflüssig gemacht stocherte sie lustvoll in der Wunde. Doch die Schmerzen, die sie dem Opfer zufügte, galten eigentlich dem Ministerpräsidenten. Er selbst macht seinen Job gut, läuft aber Gefahr, dass ihm seine Personalpolitik auf die Füße fällt. Vielleicht wird sich Milbradt am Freitag einen schneidigen Klaus Hardraht am Rednerpult gewünscht haben, als der zögerliche Nachfolger Rasch der Opposition Angriffsflächen lieferte.
Die Korsettstangen in Milbradts Mannschaft lassen sich inzwischen an den Fingern einer Hand abzählen. Thomas de Maiziere zählt dazu. Ausgerechnet den abgestraften Justizminister beauftragte der Ministerpräsident mit einer Verteidigungsrede für den angegriffenen Innenminister. Er machte das so profihaft, wie er in anderthalb Jahren drei Ressorts verwaltete. Milbradt registrierte das aufmerksam, ebenso das fast überschwengliche Lob für den Teamgeist der Regierung. Wenn es noch einen Rivalen gibt, der ihm gefährlich werden könnte, dann immer noch dieser Justizminister.
Die Opposition hat die Hatz wieder freigegeben.
Rasch und die Flutkatastrophe: Der bedauernswerte, überforderte Innenminister der mit einer sprachlichen Fehlleistung: „Ich bin am Ende, Herr Präsident“ der Oppositon unfreiwillig eine Steilvorlage lieferte, musste am Freitag den Kopf hinhalten - für die Regierung, für die um Wahrnehmung bemühte SPD und PDS. Die Opposition hat die Hatz wieder freigegeben. Rasch war als Sündenbock der Anfang. Martin Gillo, der schnell verblasste Star am Wirtschafts-himmel, könnte der nächste sein. Vorfreude auf Debatten mit der schrillen Sozialministerin Christine Weber herrscht ebenfalls im Lager der Opposition. Das Lager der Wackelkandidaten ist damit zwar noch nicht erschöpft, aber die Unterstützung der CDU-Fraktion schien schon am Freitag strapaziert zu sein. Keine beneidenswerte Aufgabe für den Ministerpräsidenten.
(Von Hubert Kemper)