Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 08.02.2002

Der Rebell aus dem Vogtland

Kurt Stempell will CDU-Fraktion aufrütteln: Milbradt-Test vor dem Parteitag
 
DRESDEN. Am Morgen meldete sich das Erzgebirge zu Wort. Christine Weber, die Ministerin für Gleichstellungsfragen, nahm die druckfrische „Freie Presse“ zur Hand und den nicht anwesenden Hans-Jörg Kannegießer aufs Korn. Falsch sei, klärte Weber ihre Fraktion auf, was ihr Kollege behauptet hatte. Nie habe sie mit dem Gedanken gespielt, in den Chemnitzer Kreisverband zu wechseln, nachdem ihr der Rücktritt als CDU-Chefin im Mittleren Erzgebirgskreis nahegelegt worden war.

Wo die streitbare Weber („Ich werde in den Himmel kommen, weil ich immer die Wahrheit sage“) ihre künftige politische Heimat sieht, liess sie offen. Spekulationen hatte sie in der „Freien Presse“ mit angeheizt: Aufgrund des erlittenen Vertrauensverlustes überlege sie, nach Ablauf der Wahlperiode in einen anderen Kreisverband zu wechseln.

Am Mittag erhob sich die Stimme des Vogtlandes: Kurt Stempell wiederholte seine Zweifel an der Eignung des Ministerpräsidenten-Kandidaten Georg Milbradt. Dabei weiß er um die Brisanz des Themas. Die Forderung, vor dem Landesparteitag am 9. März die Stimmung in der CDU-Fraktion zu testen, stört die dünne Decke der Harmonie, die nach Biedenkopfs Rücktrittsankündigung den Riß in der Partei überspannt. Die Verwalter der Macht möchten eine Abstimmung erst nach dem 9. März, denn die Fraktion würde sich an ein deutliches Votum der Partei gebunden fühlen.

Kurt Stempell sieht sich frei genug, taktischen Überlegungen zu entsagen. Sein Ziel ist klar: Vor dem 9. März soll die Fraktion abstimmen. „Bekommt Milbradt keine ausreichende Mehrheit, muss ein anderer Kandidat antreten.“ Stempells Favorit heißt Stanislav Tillich. Den schlägt er vor, ohne mit dem Europaminister gesprochen zu haben. Noch sei es Zeit, Signale zu setzen und Milbradts Durchmarsch zu verhindern.

Die Liste der Zweifel, die Stempell mit Milbradt und seiner künftigen Mannschaft verbindet, ist stattlich. „Es gibt viele Tatbestände aus seiner langen Amtsführung, die ihn angreifbar machen“, fürchtet der Plauener um die Munition, die im oppositionellen Lager gegen den Ex-Finanzminister bereits durchgeladen werde. Milbradts Programm heiße Biedenkopf, aber das sei zu wenig, um eigene Akzente zu setzen. „Er hat seine Arbeit ausschließlich nach fiskalischen und nicht nach politischen ausgeführt“, urteilt Stempell. „Was nutzt es, wenn wir 2004 ein finanziell gut ausgestattetes Land Rot-Rot überlassen“?

Vorhaltungen, die Kritik an Milbradt stamme aus den hinteren Reihen des Landtages, zudem von Abgeordneten, die 2004 ausscheiden, prallt an Stempell ab. „Mit diesem Image möchte man uns abqualifizieren“, sagt er. Dann spricht er für eine ganze Riege, die sich innerlich mit ihm verbünden: Milbradt sei nicht der Mann, der auf andere zugehe, der wie Biedenkopf auch mit dem Herzen bei den Menschen sei. „Der Mann hat acht Jahre keinem die Hand gegeben“, sagt er über Milbradt.

Doch der hat die Defizite erkannt, spricht Biedenkopf-Gefolgsleute an, an denen er 18 Monate vorbei gegangen ist. Milbradt müsse die Fraktion von sich überzeugen, hatte Fritz Hähle, Fraktionschef und treuer Gefolgsmann des scheidenden Ministerpräsidenten von dessen Nachfolger-Anwärter erwartet. Hähle, hin- und hergerissen zwischen Loyalität zu Biedenkopf und Machterhalt für die CDU, hält eine Abstimmung „am Ende des Meinungsbildungsprozesses“ für richtig. Sollte aber die Fraktion mehrheitlich eine solche Abstimmung vor dem Parteitag verlangen, könne er sie nicht verhindern.

Eine solche Mehrheit wird es aber kaum geben - trotz der Bedenken, die Kurt Stempell und Gesinnungsfreunde in einem Brief in der kommenden Woche allen Fraktionskollegen und CDU-Kreisvorsitzenden zukommen lassen wollen.
(Von Hubert Kemper)