Karl Nolle, MdL
Hannoversche Allgemeine, 16.01.2002
Ein König dankt ab
Heute will der Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in Dresden mitteilen, wann er aus dem Amt zu scheiden gedenkt.
Heute will der Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in Dresden mitteilen, wann er aus dem Amt zu scheiden gedenkt. April, Mai oder Juni könnte es sein. Wann genau, wird Biedenkopf definitiv sagen. Ein längst überfälliger Schritt, fürwahr.
Den „König der Sachsen“ hat man Kurt Biedenkopf anerkennend genannt. Sein Abschied von der Macht allerdings, nach mehr als 30 Jahren aktiver Politik in Deutschland, fällt ausgesprochen preußisch aus. Haltung bewahren, heißt Biedenkopfs oberster Leitsatz. Keine hektische oder unüberlegte Entscheidung wollte er riskieren, keine sich überschlagenden Ereignisse, keine Schlagzeilen, er habe „unter dem Druck der Vorwürfe gehandelt“.
Heute will der Ministerpräsident in Dresden mitteilen, wann er aus dem Amt zu scheiden gedenkt. April, Mai oder Juni könnte es sein. Wann genau, wird Biedenkopf definitiv sagen. Ein längst überfälliger Schritt, fürwahr. Seit Monaten wird über die Amtsmüdigkeit des Regierungschefs berichtet, über Seltsamkeiten wie die, beim Ikea-Einkauf auf Rabatt zu bestehen, über Personalquerelen in Sachsens CDU und über Unregelmäßigkeiten in alten Regierungsakten zu Bauvorhaben.
Ein tragischer Abgang Je länger Biedenkopf mit dem Rücktritt zögerte, desto mehr wurde über sein nahendes Ende und die Gründe dafür geschrieben. Ein früher Abschied hätte ihn vor manchem unangenehmen Zeitungsartikel bewahrt. Er tat es trotzdem nicht, wollte nicht einfach aufhören. Nicht er, nicht einer mit einer solchen Vita, nicht wegen Anlässen, die er als Kleinigkeiten abtut. Das ist Biedenkopfs Tragik: Weil er so spät geht, ist der Haufen an Kleinigkeiten so erdrückend, dass die großen Leistungen kaum noch zu erkennen sind. Bei Biedenkopf ist viel Selbstüberschätzung im Spiel. Er hält sich für den Größten und lässt dies andere spüren. Auch Altersstarrsinn bemerkt man.
Wie verbissen und unablässig er seinen langjährigen Mitstreiter und Finanzminister Georg Milbradt bekämpfte, lässt sich rational nicht erklären. Aber in diesen Tagen gerät schnell in Vergessenheit, welches Format dieser mittlerweile 72-jährige Politiker eigentlich hat. Ein Mann, dessen Ära jetzt ein so unrühmliches Ende findet. Es handelt sich bei ihm um eine überragende Erscheinung, vielleicht um einen der fünf bis zehn bedeutendsten deutschen Politiker der Nachkriegszeit.
In den siebziger Jahren war er es, der als Generalsekretär unter Helmut Kohl die CDU zur modernen, weltoffenen Partei verwandelte, in der nicht nur Honoratioren in Hinterzimmern, sondern die Mitglieder selbst mitbestimmen konnten. Durch ihn wurde nach der SPDauch die zweite große Volkspartei zum Ort des lebhaften Gedankenaustauschs verschiedener Interessengruppen. Der damals oft als Querdenker belächelte Biedenkopf schuf nicht nur das Forum, er gab auch Anstöße für die Inhalte.
Biedenkopfsche Gedanken haben über Generationen politische Debatten geprägt: Dass in modernen Gesellschaften vor allem diejenigen benachteiligt sind, die keinen mächtigen Verband auf ihrer Seite haben – Alleinerziehende, Ältere, Arbeitslose. Dass die Macht der Verbände vor allem den Status quo sichert und die Abkehr von Besitzständen erschwert. Dass die Erwartungen an den Staat regelmäßig überhöht sind und Konzepte zur Selbstvorsorge deshalb nicht in Gang kommen. Die private Alterssicherung nennt man heute „Riester-Rente“. Doch ihr geistiger Vater ist Biedenkopf. Er war es, der dieses Thema wieder und wieder auf die politische Tagesordnung brachte. Man könnte also auch von „Biedenkopf-Rente“ reden.
Populär wie kein zweiter Wessi Nach der Wende in der DDR ging Biedenkopf als erfahrener Politiker in den Osten, wirkte als Anwalt der neuen Länder und wurde populär. Er machte vor, wie Westdeutsche sich „drüben“ korrekt benehmen – fürsorglich, aber nicht bevormundend, wegweisend, aber nicht überheblich und besserwisserisch. Die Ost-West-Spannungen in Deutschland wären wohl größer, wenn es ihn als Ministerpräsidenten nicht gegeben hätte.
Zu Biedenkopf gehören auch liberale Grundüberzeugungen, an denen er sich immer wieder orientiert hat. Das ist viel wert in einer Zeit, die von Pragmatikern geprägt ist und von Männern in höchsten Staatspositionen, die ihre Ansichten nur an aktuellen Umfragen ausrichten. Es ist aber auch wahr: Viel hat Biedenkopf, der glänzende Theoretiker, Vordenker und Rhetoriker, in seiner praktischen Arbeit wieder umgerissen. Gerade in den letzten Jahren in Dresden.
Ihm ist vorzuwerfen, hoffnungsvolle Talente ausgegrenzt und Jasager nach oben befördert zu haben. Zuletzt fehlten wohl Leute in seinem Umfeld, die den Mumm und die Kraft zum deutlichen Widerspruch hatten. Trotzdem: Biedenkopfs Lebensleistung schmälert das nicht. Es ist tatsächlich ein König, der da seinen Thron verlässt.
(Von Klaus Wallbaum)