Karl Nolle, MdL
Freie Presse, 14.12.2001
Rückhalt vor dem Rücktritt
Im Tollhaus CDU will niemand der Königsmörder sein
Wen interessierte die gestrige Landtagssitzung, wen die Arbeit der Regierung?-Ikea ist das große Thema, und wenn das ausgelutscht ist, wird es ein anderes Warenhaus sein, das der handelstüchtigen Frau Ministerpräsident Rabatt einräum-te. Oder man findet ein Blumengeschäft, dessen Rechnung die resolute Dame nicht aus der eigenen Tasche zahlen wollte. Viele Geschichten dieser Art mag es geben. Zugetuschelt hat man sie sich in Dresden, offen darüber zu sprechen gewagt oder gar zu schreiben selten.
Jetzt steht König Kurt" kurz vor der Machtablösung. Da will jeder seinen Skalp für sich verbuchen. Was Ingrid, die Ehefrau, durch ihr unbekümmertes wie unverfrorenes Geldsammeln für soziale Zwecke bewegte, zählt nicht mehr. Chic ist es, sich Witze über die beiden alten Leutchen zu erzählen, vor denen viele ein Jahrzehnt dienerten. Nun werden sie als Belastung abgeschrieben.
Vor dem Fall wird den Biedenkopfs sicher Hochmut vorgeworfen. Wie wohl sich die Sachsen in dem Glanz fühlten, den sie dem Land zurückgegeben haben, übersieht die Kritik. Mancher hat sich von Volkes Stimme ebenso weit entfernt wie die beiden, die sie schelten. Mitgefühl wird der Ministerpräsident jedoch nur in be-grenztem Maße erwarten können. War es Realitätsverlust der seine Pannenserie im Jahr 2001 erklären lässt? - Biedenkopf hat beim Einsturz seines eigenen Standbildes tatkräftig mitgewirkt.
Einmal in der Klemme sitzend, hilft es dem Sachsen-König nicht, den Zeitpunkt des verpassten Abtritts zu beklagen. Am 19.9.99 mit dem dritten Wahl-Triumph begann die Debatte um seinen vorzeitigen Rücktritt. Arnold Vaatz war der erste, der sie polemisierte. Ob sein Freund Milbradt die Comeback-Erwartungen erfüllen kann?
Die Eskalation gestern im Landtag macht die gereizte Stimmung deutlich. Biedenkopfs Unsicherheit überträgt sich auf Hähle, der kolportiert nicht ausgesprochene Rücktrittsforderungen, und Milbradt verliert erstmals wieder die Selbstbeherrschung. Seine Kritiker, die ihm ohnehin nicht die Landesvater-Rolle zutrauen, fühlen sich bestätigt. Doch an dem schroffen Macher führt kein Weg mehr vorbeL Das ahnt Biedenkopf, wahrhaben will er es wohl immer noch nicht. Der Ministerpräsident genießt noch Rückhalt in seiner Fraktion, auch wenn der bröckelt. Mit seinem Auftritt im Landtag will er sich heute Luft verschaffen. Wie lange der Vorrat halten wird? - Vielleicht einige wenige Wochen oder Monate. Der Glaube, dass Biedenkopf das Ruder noch einmal kraftvoll umwerfen und vom Reagieren zum Regieren kommt, schwindet Ausgeprägt ist der Wunsch, Freiraum für einen ehrenvollen Abgang zu schaffen. Wer will schließlich als Königsmörder am Pranger stehen, wenn bald für den Ex-Regenten das erste Denk-mal errichtet wird?
(Hubert Kemper)