Karl Nolle, MdL

taz, 18.01.2020

NS-Morde in Konzentrationslagern - Auch Frauen unter den Tätern

 
Sie waren WegbereiterInnen des Massenmords. Trotzdem wurden SchreibtischtäterInnen der NS-Zeit lange nicht strafrechtlich verfolgt.
Frauen sitzen in einer Reihe mit Kopfhörern vor Gericht



Hildegard Lächert (4.v.l) auf der Anklagebank vor einem Gericht in Krakau 1947
Foto: PAP/picture alliance


Hermine Braunsteiner, so beschrieben es Zeugen, warf die aus dem Warschauer Getto deportierten Kleinkinder unter den Augen ihrer Mütter wie Müll auf Lastwagen, damit diese so schnell wie möglich in die Gaskammer des KZ Majdanek gebracht werden konnten.

In Düsseldorf erhielt die frühere Aufseherin im Juni 1981 als einzige der Angeklagten eine lebenslange Haftstrafe. Hildegard Lächert, von den Häftlingen die „blutige Brygida“ genannt, die bei Gelegenheit eine schwangere Gefangene von ihrem Hund zerfleischen ließ, kam günstiger davon: 12 Jahre Haft.

Der Massenmord an Juden, Sinti und Roma war keineswegs nur eine Angelegenheit von männlichem Personal. Die Historikerin Andrea Rudorff schätzt, dass allein in den Konzentrationslagern im besetzten Polen etwa 3.500 Frauen beschäftigt waren. In Auschwitz etwa arbeiteten neben etwa 6.000 SS-Männern auch rund 170 SS-Aufseherinnen. Manche von ihnen waren nicht weniger grausam als ihre männlichen Mittäter.

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs ergingen gegen Nazi-Frauen harte Schuldsprüche. Die polnische Justiz verurteilte im zweiten Majdanek-Prozess 1948 eine Aufseherin zum Tod. Schon im Mai 1946 waren fünf Aufseherinnen des KZ Stutthof bei Danzig zum Tod verurteilt worden.

Im ersten Prozess gegen TäterInnen des KZ Ravensbrück, in dem vorwiegend weibliche Häftlinge inhaftiert waren, erging von einem britisches Militärgericht gegen fünf Aufseherinnen ein Todesurteil. Und 1966 erhielten die Aufseherin Ulla Jürß und zwei Mitangeklagte durch ein DDR-Gericht eine lebenslange Freiheitsstrafe. Erst im Mai 1991 kam sie frei.

Manche von ihnen waren nicht weniger grausam als ihre männlichen Mittäter

Die allermeisten KZ-Täterinnen allerdings entgingen einer Bestrafung. Gar nicht erst ermittelt wurde in der Bundesrepublik gegen weibliches (und männliches) Lagerpersonal, das in der Telefonzentrale, in der Küche oder der Verwaltung dafür sorgte, dass die KZ-Mordmaschine arbeiten konnte. Damals vertrat die Justiz die Auffassung, dass auch zu einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord der Nachweis einer individuellen Tötung nötig sei.

Das hat sich vor wenigen Jahren durch­ ein Urteil des Bundesgerichtshof geändert. Seitdem bemüht sich die Justiz meist vergeblich darum, die letzten noch lebenden KZ-WächterInnen dingfest zu machen. Doch die meisten mutmaßlichen TäterInnen sind verhandlungsunfähig.

2016 lehnte das Landgericht Kiel die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen Christel M. ab. Sie hatte als Funkerin in Auschwitz gearbeitet. Doch die 93-jährige erblindete und fast taube Angeklagte, so befand das Gericht, sei nicht mehr verhandlungsfähig. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelte 2017 gegen die 92-jährige Christel R., die als Telefonistin im KZ Stutthof eingesetzt war. Doch noch vor einer Anklageerhebung verstarb diese.
Mittlerweile vernehmungunfähig

Derzeit laufen Ermittlungen gegen vier ehemalige Nazi-Aufseherinnen. Eine von ihnen war in Ravensbrück eingesetzt, doch eine Verfahrenseinstellung gilt als wahrscheinlich. Gleiches gilt für eine 97-Jährige, die in den letzten Kriegstagen einen Todesmarsch nach Bergen-Belsen begleitete.

Zwei Beschuldigte arbeiteten als Schreibkräfte im KZ Stutthof, darunter eine heute 97-Jährige. Gegen sie wird in Lübeck ermittelt. Der zweite, in Itzehoe anhängige Fall soll nach Auskunft der Staats­anwaltschaft „demnächst abgeschlossen“ ­werden.

Klaus Hillenbrand

Bundesgerchtshof: Beschlüsse vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16

Beihilfe zum Mord durch Dienst im KZ Auschwitz

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=76335&pos=0&anz=1

Das Landgericht Lüneburg hat den Angeklagten, einen im Tatzeitraum 22 bzw. 23 Jahre alten SS-Angehörigen, wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte, der seit 1942 im Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt war, an der systematischen Tötung der in Ungarn lebenden jüdischen Bevölkerung im Jahr 1944 beteiligt. Im Rahmen dieser sog. Ungarn-Aktion wurden in der Zeit vom 16. Mai bis zum 11. Juli 1944 mindestens 300.000 Juden nach Auschwitz deportiert und dort unmittelbar nach ihrer Ankunft in Gaskammern ermordet. Der Angeklagte war in die Massentötungen in verschiedener Weise eingebunden.

An mindestens drei Tagen war er an der Rampe eingesetzt, an der die Züge im Lager eintrafen. Dort hatte er in erster Linie die Aufgabe, das Gepäck der Deportierten zu bewachen. Dadurch sollte verhindert werden, dass dieses vor den Augen der Opfer geöffnet, durchsucht und geplündert wurde, was deren für den weiteren Ablauf als unerlässlich angesehene Arglosigkeit hätte beseitigen und zu Unruhe hätte führen können. Zugleich war der Angeklagte bei seiner Tätigkeit an der Rampe auch Teil einer Drohkulisse, die jeden Gedanken an Widerstand oder Flucht bereits im Keim ersticken sollte. Daneben wirkte der Angeklagte bei der Verwertung der Vermögenswerte der Deportierten zugunsten der SS mit. Schließlich oblag es ihm während seiner gesamten Diensttätigkeit, die Deportierten zu überwachen und Widerstand oder Fluchtversuche mit Waffengewalt zu verhindern.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die auf die Beanstandung der Verletzung sachlichen Rechts und mehrere Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten ebenso verworfen wie die Revisionen mehrerer Nebenkläger, die mit ihren Rechtsmitteln eine Verurteilung des Angeklagten als Mittäter angestrebt hatten; weitere Nebenklägerrevisionen waren nicht in zulässiger Weise erhoben und sind daher ebenfalls verworfen worden. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

Vorinstanz:

Landgericht Lüneburg - 1191 Js 98402/13 27 Ks 9/14 – Entscheidung vom 15. Juli 2015

Karlsruhe, den 28. November 2016

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
[Seite drucken]