Karl Nolle, MdL

Dresdner Morgenpost, 23.05.2015

Drama um Ulbigs Vorzeigeflüchtlinge in Stollberg

 
Polizei kam nachts um Flüchtlingsfamilie abzuschieben. Vor sechs Wochen aß der Innenminister noch Kuchen mit ihr.

Dresden/Stollberg - Diese Aktion steht Sachsens Innenminister ganz schlecht zu Gesicht: Im April zeigte sich Markus Ulbig (51, CDU) medienwirksam in der Stollberger Wohnung einer sechsköpfigen syrischen Familie. „Gelebte Integration“, titelte Ulbig im Anschluss auf seiner Facebook-Seite. Jetzt rückte die Polizei mitten in der Nacht bei der syrischen Familie ein, um sie unter Zwang abzuschieben. 

      
        Innenminister Markus Ulbig (51, CDU) besuchte am 9. April die syrische Familie
        Merjan in Stollberg, wurde sogar mit Kuchen verköstigt.

Am 9. April bekam Familie Mejan hohen Besuch in ihrer Asylbewerberunterkunft: Sachsens Innenminister Markus Ulbig. Er wollte für Altbausanierungen werben, wo dann Asylbewerber unterkommen sollten.

Dafür brauchte Ulbig Vorzeige-Flüchtlinge und wurde bei Familie Marjan fündig. Vater Ahmad (36), seine schwangere Frau Salamat Issa (34) und die gemeinsamen vier Kinder (3-12) empfingen Ulbig herzlich.

Im Anschluss an den Besuch bei der syrischen Familie postete Minister Ulbig (51) Texte und Fotos aus Stollberg. Es wurde gelacht, es wurde sich ausgetauscht. Ulbig ließ sich freudestrahlend mit einem der Kinder auf dem Schoss fotografieren, der Minister bekam sogar selbstgebackenen Kuchen.

Nun lernten die Syrer den Freistaat von seiner anderen, gnadenlosen Seite kennen.

Dienstag kurz vor 1 Uhr klingelten die Ausländerbehörde und Polizisten an der Wohnungstür in Stollberg (Erzgebirge). Sofortige Abschiebung nach Bulgarien!

Die Familie sträubte sich mit aller Macht. Um 5.30 Uhr übernahm die Bereitschaftspolizei die Syrer, fuhr sie auf den Flughafen Berlin-Schönefeld. Die Abschiebung nach Bulgarien scheiterte letztlich an der Fluggesellschaft, welche die völlig aufgelöste Familie nicht mitnehmen wollte.

Von Stollberg nach Berlin: Von hier aus sollten Merjans nach Sofia abgeschoben werden. Doch die Fluggesellschaft stellte sich quer.
Jetzt sind Merjans zurück in Stollberg, werden vom örtlichen Pfarrer Markus Lippold ohne Kirchenasyl geschützt - an geheimem Ort!

Wie kann das alles sein? „Der Minister hat sich beim Termin von einem Projekt zur Unterbringung von Asylbewerbern informiert. Selbstverständlich wurde dabei im Vorfeld nicht nach aufenthaltsrechtlichem Status gefiltert“, so Martin Strunden (44), Sprecher des Innenministeriums, ohne ein Wort des Bedauerns.

„Die Familie hat Aufenthaltsrecht in Bulgarien. Darum wurde der Asylantrag in Deutschland abgelehnt. Die Rechtslage lässt für ein Aufenthaltsrecht in Deutschland keinen Spielraum.“

Die Abschiebung der syrischen Großfamilie soll weiter vollstreckt werden.

Von Andrzej Rydzik und Doreen Grasselt

Kommentar von Andrzej Rydzik

Sehr geehrter Herr Minister!

Wie mit einer syrischen Großfamilie in Stollberg jetzt verfahren wurde, macht sprachlos. In einer Nacht- und Nebelaktion rücken Mitarbeiter der Ausländerbehörde und Polizisten bei Familie Merjan ein - während die vier Kinder mit Sicherheit friedlich schliefen. Gewiss wurden sie ein weiteres Mal nach der Flucht aus ihrem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land traumatisiert.

Die unangemessene Vorgehensweise und Härte sei für den Moment dahingestellt. Aber Sie, Herr Minister Markus Ulbig, haben in diesem speziellen Fall Verantwortung. Sie waren es, der die Familie Anfang April besucht hat als Ihnen der Wind in Sachen Asylunterkünfte und Flüchtlingszustrom wieder steifer ins Gesicht wehte. Auch wenn Sie Familie Merjan verbal keine Versprechungen gemacht haben, schürten Sie allein durch Ihre Anwesenheit große Hoffnungen bei Merjans.

Und das ist nur verständlich. Da kommt einer der höchsten sächsischen Politiker vorbei, nimmt sich Zeit für Gespräche, lässt mit den Kindern fotografieren und verabschiedet sich herzlich lächelnd wieder. Und jetzt lassen Sie Ihren Sprecher ausrichten, es gäbe keinen rechtlichen Spielraum, um der Familie zu helfen? Ist das Ihre Reaktion?

Nicht wirklich, Herr Minister. Holen Sie ihren Parteikollegen Geert Mackenroth (Sachsens Ausländerbeauftragter) ins Boot. Setzen Sie sich gemeinsam und mit Nachdruck dafür ein, dass die Härtefallkommission den Fall rasch überprüft. Sie wissen genau, dass Nicht-Regierungsorganisationen wie Pro Asyl oder Amnesty International von Abschiebungen nach Bulgarien aufgrund der katastrophalen Lage abraten.

Herr Ulbig, helfen Sie Familie Merjan als Freund, als der Sie in den vier Wänden der Syrer aufgenommen wurden. Das sind Sie der Familie als oberster Ordnungshüter im Freistaat schuldig.