Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 18:46 Uhr, 06.04.2013

Ehemalige Zwangsprostituierte - Wie die Justiz Mandy Kopp stigmatisierte

 
Sie wurde als Minderjährige zur Prostitution gezwungen, eingesperrt und misshandelt. Zwanzig Jahre später geht Mandy Kopp mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Unterlagen zeigen, dass Teile der Justiz ihr keine Hilfe waren - im Gegenteil: Sie wurde als Prostituierte stigmatisiert.

Wenn Mandy Kopp aus ihrem Buch vorliest, ringt sie um Fassung. Sie ist stark geworden, doch noch immer erschüttern sie die Erinnerungen, zu viel hat sie ertragen müssen. "Die Zeit des Schweigens ist vorbei" heißt ihr Buch, eine Art Kampfansage.

Mandy Kopp schweigt nicht mehr darüber, wie sie Anfang der neunziger Jahre ins Leipziger Bordell "Jasmin" geraten war, wie sie und andere Mädchen und junge Frauen vergewaltigt wurden, misshandelt, wie sie voller Angst lebten.

Heute ist Kopp 36 Jahre alt, ihr Martyrium liegt zwei Jahrzehnte zurück. Dass es sie bis heute verfolgt, dass sie auch heute noch kämpfen muss, liegt auch am Verhalten der ermittelnden Behörden: Immer wieder hat Kopp Stigmatisierungen durch die Justiz angeprangert. SPIEGEL ONLINE liegen nun Protokolle und E-Mails vor, die belegen, wie sie und andere ehemalige Zwangsprostituierte mit Vorbehalten konfrontiert wurden.

Kopp war vor 20 Jahren mit anderen Minderjährigen in die Gewalt eines Zuhälters geraten. Der Mann zwang sie, für ihn anzuschaffen und vergewaltigte die Mädchen mehrfach. Das Bordell wurde 1993 gestürmt, der Zuhälter später wegen Menschenhandel in Tateinheit mit Zuhälterei, Förderung der Prostitution und sexuellem Missbrauch von Kindern zu vier Jahren und zwei Monaten verurteilt.

"Sachsensumpf" bringt Spur zum Bordell

Die juristische Aufarbeitung des Falles war damit längst nicht abgeschlossen: Der Verurteilte behauptete im Jahr 2000, es habe einen Deal zwischen seiner Anwältin und Richter N. gegeben; wenn er nicht zu den Freiern aussage, bekomme er eine mildere Strafe. Später widerrief er die Aussage. Ein Ermittlungsverfahren gegen Richter N. wegen Strafvereitelung wurde eingestellt.

Doch wenige Jahre später tauchten die Namen des Bordells und des Richters erneut auf: Im Zuge von Ermittlungen zum "Sachsensumpf", zu einem mutmaßlichen Geflecht aus Korruption, Immobilienspekulation, Misshandlung Minderjähriger und Waffengewalt, das bis heute nicht vollends aufgeklärt ist. Zwei Frauen, Mandy Kopp und Beatrice E., wurden befragt, und sie meinten, in Richter N. und einem Staatsanwalt ehemalige Besucher des "Jasmin" wiedererkannt zu haben. Das Verfahren gegen die Männer wurde später ebenfalls eingestellt.

Weil im Fall des "Sachsensumpfs" die Justiz gegen eigene Beamte ermitteln musste, setzte der damalige Justizminister Geert Mackenroth (CDU) Mitte 2007 den aus Baden-Württemberg stammenden Richter Wolfgang Eißer ein. Eißer sollte ein "neutrales Auge" auf das Vorgehen der Justiz haben, er sei "fachlich wie menschlich über jeden Zweifel erhaben", so Mackenroth damals.

Bereits nach der ersten Vernehmung der ehemaligen "Jasmin"-Mädchen im Januar 2008 schrieb Eißer eine Mail an Mackenroth, die SPIEGEL ONLINE vorliegt: "Mein Misstrauen gegen die neuen Angaben wurde durch diese Gespräche bestätigt. Man muss sogar befürchten, dass die neuen Aussagen nicht nur manipuliert, sondern 'bestellt' worden sind."

Anklage wegen Verleumdung

Mit seinen Aussagen von damals konfrontiert, antwortet Eißer: Die Situation im Januar 2008 wäre so gewesen, dass die meiste Ermittlungsarbeit bereits geleistet war und vieles, aber noch nicht in allen Details, klar war. Zu dem Verdacht, Justizbeamte könnten in den "Sachsensumpf" verwickelt gewesen sein und womöglich zu den Besuchern des "Jasmin" gezählt haben, stellt Eißer fest: "Viele Vorwürfe konnten nicht nur als nicht beweisbar, sondern als eindeutig widerlegt angesehen werden."

Das sehen nicht alle so: Es sei eben nicht nachgewiesen, dass es kein sogenanntes "Sachsensumpf"-Netzwerk gegeben habe, sagte ein Jahr später der Obmann der Grünen im "Sachsensumpf"-Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag, Johannes Lichdi.

In seiner E-Mail vom Januar 2008 bezeichnete Eißer die "Jasmin"-Opfer als "Prostituierte". Auf Anfrage rechtfertigt Eißer jetzt die Verwendung des Begriffs. "Von außen ist es oft nicht möglich, zu erkennen, ob eine Frau gezwungenermaßen dort arbeitet oder nicht", schreibt er. Und weiter: "In meinem Sprachgebrauch verwende ich den Begriff 'Zwangsprostituierte' nicht, weil er eine meistens nicht mögliche abschließende Bewertung, warum eine Frau als Prostituierte tätig ist, beinhaltet."

Die Bezeichnung "Prostituierte" zieht sich wie ein roter Faden durch die Ermittlungsakten. In einer Notiz des Sächsischen Justizministeriums vom 28. März 2008 zum Prüfvorgang "Korruption Sachsen" etwa steht: "Bei den beiden Damen handelt es sich um die ehemaligen Prostituierten im ehemaligen Bordell 'Jasmin'(...)."

Das Wort "Damen" wurde nachträglich durchgestrichen und durch "Beschuldigte" ersetzt. Denn: Nachdem Kopp und Beatrice E. den Richter und den Staatsanwalt identifiziert hatten, wurden sie wegen Verleumdung angeklagt. Selbst in der offiziellen Presseerklärung der Dresdner Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung vom November 2008 ist von "zwei ehemaligen Prostituierten" die Rede.

Kopp reagiert noch heute mit Unverständnis auf die Diffamierung, "wir sind Opfer", sagt sie.

Auch die Zeugenvernehmungen scheinen offenbar nicht immer frei von Vorbehalten geführt worden zu sein. In einem Brief vom 10. April 2008 beschwerte sich der Rechtsanwalt von Kopp bei der Staatsanwaltschaft: "Nach Angaben meiner Mandantin wurde sie während der Vernehmung mit Äußerungen konfrontiert, die sie als herabsetzend empfunden und so verstanden hat, dass Einfluss auf ihr Aussageverhalten genommen wird", schreibt er. Unter anderem sei sie während der Vernehmung sinngemäß mit "Wem wird man mehr Glauben schenken - zwei ehrenvollen Polizeibeamten oder einer Ex-Prostituierten?" konfrontiert worden.

"Vordemokratischer Umgang mit Zeugen"

Ähnlich klingt ein Beschwerdebrief des Anwalts von Beatrix an die Staatsanwaltschaft im Februar 2008. Seiner Mandantin sei so viel Aggressivität und Feindseligkeit entgegengeschlagen, dass sie zitterte, einen Weinkrampf und Nasenbluten bekam. Daraufhin habe man die Vernehmung abbrechen müssen.

Der Sprecher der vernehmenden Beamten weist die Vorwürfe nun zurück. Bei der Befragung sei ein Rechtsbeistand der Zeugen anwesend gewesen. "Es wurde während der Vernehmung keine Kritik seitens des Zeugenbeistandes erhoben." Und: "Die Zeugin wurde in den Vernehmungen nicht mit herabsetzenden Äußerungen konfrontiert". Auf das Aussageverhalten sei kein Einfluss genommen worden.

Dass es sich bei den Frauen nicht um ehemalige Prostituierte handelt, sondern um Vergewaltigungsopfer, geht nach Ansicht des Obmanns Lichdi bereits aus den Vernehmungsprotokollen aus dem Jahr 1993 hervor. Damals hatte die Polizei die aus dem Bordell befreiten Mädchen befragt. "Es ist nachweisbar, von Anfang an, dass es sich nicht um Prostituierte handelte", so Lichdi. "Die durchgängige Diskriminierung der Frauen als Prostituierte durch die Staatsanwaltschaft Dresden sollte die Aussagen der Frauen als unglaubwürdig abstempeln."

Für SPD-Obmann Karl Nolle ist der eigentliche Sumpf der Umgang mit den Zeugen. "Der 'Sachsensumpf' ist in der Tat inzwischen der rechtsstaatsferne vordemokratische Umgang mit der Sache, mit Zeugen, mit Journalisten, Abgeordneten und Mitarbeitern des Landesamtes für Verfassungsschutz durch Teile der Justiz und Staatsregierung, die das Thema auf Teufel komm raus plattzumachen hatten und haben", sagt er. Das sei alles aktueller denn je.

Die Ausschussmitglieder wollen noch bis zum Frühjahr 2014 Zeugen vernehmen und bis Juni kommenden Jahres einen Abschlussbericht vorlegen. Spannend dürfte es noch einmal im Spätherbst dieses Jahres werden. Nolle kündigt an, dass der Ausschuss dann die im "Sachsensumpf" ermittelnden Staatsanwälte anhören möchte.

Von Björn Menzel