Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 05.03.2013
Neonazi-Terror: Kaum Neues vom Ex-Chef des Geheimdienstes
Dresden. Der U-Ausschuss zur Zwickauer Terror-Zelle gilt als das Mammut-Projekt der laufenden Legislatur schlechthin. 520 Aktenordner lagern bereits im Archivraum zum Thema, noch rund 100 Zeugen müssten innerhalb der verbleibenden 18 Monate vernommen werden. Absehbar ist schon heute, dass das kaum mehr zu leisten ist. Der Ausschuss, der weniger die beispiellose Mordserie des Neonazi-Trios als das Versagen der Sicherheitsbehörden beleuchten soll, dürfte ein Torso bleiben - vorerst zumindest.
Das zeigte sich auch gestern. An der Reihe war Sachsens Ex-Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos, der nach einer Schlamperei in der Behörde das Amt aufgegeben hatte, und klar war, mit ihm tritt eine Zentralfigur des NSU-Dramas auf. Doch außer ein paar prosaischen Wendungen ("Ich möchte Sie einladen zu einer Zeitreise zurück in die Vergangenheit") war wenig Neues zu erfahren vom Geheimdienstprofi, im Gegenteil: Stundenlang referierte Boos jene Lesart, die andere Gremien und Kommissionen bereits vor ihm präsentiert hatten.
Drei Punkte können als zentral gelten. Erstens: Die Sicherheitsbehörden sammelten nur einzelne Versatzstücke, eine Zusammenschau gab es nicht. Zweitens: Schuld am Desaster haben nicht die Ermittler in Sachsen, sondern vor allem die anderen - laut Boos der Bundesverfassungsschutz sowie die Geheimen und die Polizei in Thüringen. Drittens: Wenn sich Sachsen überhaupt etwas vorzuwerfen habe, dann die Tatsache, dass es sich nicht aktiv eingeschaltet und nachgefragt hatte - bei den Behörden, die es angeblich besser wussten, also bei den anderen.
Das ist mittlerweile eine Art Mantra bei der Bewertung der Ermittlungspannen im Freistaat, und auch Boos nutzte diese Linie ausgiebig. Mal hätten die Thüringer die "richtige Spur" gehabt, diese aber nicht weiter verfolgt; mal habe der Verfassungsschutz in Brandenburg gemauert. Dass die als militant bekannte Neonazi-Truppe sich aber Ende der 90er Jahre zu einer Terror-Zelle gewandelt hatte, habe seine Behörde ebenso wenig auf dem Schirm gehabt wie alle anderen.
Jürgen Kochinke