Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 12:06 Uhr, 25.02.2013

NSU-Beschuldigter André K - Der 14. Mann

 
 Im NSU-Verfahren hat die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen ausgeweitet: Nun wird auch der Neonazi André K. als Terrorhelfer beschuldigt - er soll am Tag des blutigen Endes von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ganz in der Nähe gewesen sein. Doch die Beweise gegen ihn scheinen dünn.

Berlin/Eisenach - Die beiden Verbrecher saßen fest: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hockten in ihrem Wohnmobil, aufgespürt von der Polizei, und selbst die kroatische Maschinenpistole, mit der sich die Neonazis den Weg hätten freischießen können, half ihnen nicht mehr weiter: Sie hatte Ladehemmung. Da griff sich Mundlos eine der beiden Pumpguns, lud durch und schoss seinem Komplizen in die linke Schläfe. Dann, so rekonstruierten die Ermittler, steckte er sich den Lauf der Flinte selbst in den Mund - und drückte ab.

Der Tod der Terroristen, kurz nach ihrem Überfall auf eine Sparkasse im thüringischen Eisenach, markierte am 4. November 2011 das Ende des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), der fast 14 Jahre lang mordend und raubend durch die Republik gezogen war. Doch am Tag des blutigen Finales waren Böhnhardt und Mundlos womöglich nicht - wie bislang angenommen - allein in Eisenach.

Nach neuen Erkenntnissen des Bundeskriminalamts (BKA) könnte sich "zur tatkritischen Zeit" ein einstmals enger Vertrauter des Duos ganz in der Nähe aufgehalten haben: André K., ein einschlägig bekannter Rechtsextremist und wie Böhnhardt und Mundlos aus Jena. Auf die Spur des heute 37-Jährigen waren die Fahnder durch die Auswertung von Mobilfunkdaten gekommen: Just an jenem Freitag im November, knapp zwei Stunden nach dem Doppel-Suizid, hatte sich ein von K. genutztes Handy etwa zwölf Minuten lang in einer Eisenacher Funkzelle eingebucht - genau in dem Sendebereich, in dem sich das Wohnmobil mit den Leichen von Böhnhardt und Mundlos befand.

Der Funkzellen-Treffer elektrisierte die Ermittler: Wusste K. vom Tod der beiden Gesinnungsgenossen? War womöglich er es, der Beate Zschäpe die Nachricht vom Tod ihrer Komplizen überbrachte? Es bestehe der "Verdacht, dass K. die Angeklagte über den Tathergang informiert" habe, heißt es in einem internen BKA-Vermerk.

Bislang hatten die Fahnder keine belastbare Erklärung dafür finden können, wie Zschäpe von den Geschehnissen in Eisenach erfahren hatte. Denn nur drei Stunden nach den Schüssen im Wohnmobil setzte sie mit Hilfe eines bereitstehenden Benzinkanisters das letzte NSU-Versteck in Zwickau in Brand und berichtete am Morgen danach den Eltern von Böhnhardt und Mundlos telefonisch vom Tod der Söhne. Bevor sie sich den Behörden stellte, verschickte sie laut Anklage zudem mehrere Propaganda-DVDs, in denen sich der NSU zu zehn Morden und zwei Bombenanschlägen bekannte. Woher nahm sie die Gewissheit, dass ihre Komplizen tot waren? Verließ sie sich wirklich nur auf die Radiomeldungen über zwei erschossene Bankräuber in einem Wohnmobil?

Üppiges Vorstrafenregister

Auch die Bundesanwaltschaft nahm die neuen Erkenntnisse zur mutmaßlichen Anwesenheit von André K. in Eisenach ernst: Am 28. Januar leitete Generalbundesanwalt Harald Range ein Ermittlungsverfahren gegen den Montagearbeiter ein; seitdem wird K. im NSU-Komplex als Beschuldigter Nummer 14 geführt, wegen des Verdachts der "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung".

Am 5. Februar durchsuchten Fahnder K.'s Wohnung und vernahmen den Rechtsextremisten. Der lieferte ihnen jedoch eine plausibel klingende Erklärung: Am fraglichen Tag sei er tatsächlich in der Nähe von Eisenach unterwegs gewesen, mit seinem Vater, wegen eines Autokaufs. Am Tatort sei er aber nicht gewesen, möglicherweise habe sich sein Handy von der Autobahn aus in die betreffende Funkzelle eingebucht. Vom Tod der beiden Ex-Kameraden - zu denen er seit Jahren keinen Kontakt mehr gehabt habe - will er erst später aus den Medien erfahren haben.

Zumindest die Sache mit dem Autokauf scheint zu stimmen: Am 5. November 2011 wurde tatsächlich ein Nissan auf André K. zugelassen. Aufgrund seiner "schlüssig klingenden Aussagen", so heißt es in Ermittlerkreisen, habe sich der Verdacht gegen ihn zunächst "relativiert"; allerdings sei die Auswertung der bei K. sichergestellten Beweismittel - darunter das von ihm am Tattag genutzte Handy - noch in vollem Gange.

Im Visier hatten die Fahnder André K. schon früher. Der Rechtsextremist kannte das Trio Böhnhardt/Mundlos/Zschäpe seit den neunziger Jahren. Damals traf man sich im "Nationalen Widerstand Jena" und marschierte gemeinsam im "Thüringer Heimatschutz" des später als V-Mann enttarnten Neonazis Tino Brandt. Der neue Beschuldigte hat ein üppiges Vorstrafenregister und wohnte vier Jahre im "Brauen Haus" in Jena, einem berüchtigten Treffpunkt der rechtsextremistischen Szene.

Zudem gilt der gelernte Metallschleifer als enger Vertrauter des langjährigen NPD-Kaders Ralf Wohlleben, der - wie Zschäpe - ebenfalls angeklagt wurde und sich ab April vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten muss. Nach dem Untertauchen des Trios im Januar 1998 soll André K. BKA-Erkenntnissen zufolge "zumindest zeitweise als Fluchthelfer, unmittelbare Zugangs- und Kontaktperson" für die Flüchtigen fungiert haben. Zudem gebe es Anhaltspunkte, dass er die drei "logistisch und finanziell unterstützt" habe.

Bereits am 25. November 2011 luden BKA-Fahnder K. zu einer ersten Vernehmung und nahmen ihn mehr als vier Stunden lang ins Gebet. Auf die Frage, ob er nach der Flucht des Trios in den Untergrund noch Kontakt zu den Dreien gehabt habe oder an der Beschaffung von Geld und falschen Papieren für sie beteiligt gewesen sei, verweigerte er damals die Aussage. Die Morde aber, so gab K. zu Protokoll, hätte er den einstigen Kameraden nie zugetraut - den Banküberfall in Eisenach hingegen schon: "Wenn man untertaucht und Geld braucht", so K. zu den Beamten, "dann kommt nur sowas in Frage."

Von Hubert Gude, Sven Röbel und Holger Stark