Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 20.02.2013

Allein im Visier - In der Affäre um den „Sachsensumpf“ will sich eine Frau nicht mit der ihr zugewiesenen Schuldrolle abfinden – und wehrt sich.

 
Dresden - Nicht nur der Name hat sich geändert. Die Zeugin Simone Skroch gibt ein ganz anderes Bild ab als die Zeugin Simone Henneck. Zwischen beiden Auftritten im Raum A 600 im Sächsischen Landtag liegen vier Jahre. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man zwei verschiedene Frauen vermuten. Die eine spricht von sich nur in der dritten Person, als Zielobjekt einer regelrechten Hexenjagd, sie wirkt schwer traumatisiert. Emotionen und Fakten lassen sich für die Zuhörer nur schwer auseinanderhalten. Die andere hat kein Problem mehr mit dem „ich“, wenngleich sie immer noch ein bisschen ungeduldig wirkt. Sie erbittet sich Ruhe, wenn Mitglieder des Untersuchungsausschusses zur Affäre um den „Sachsensumpf“ ihre Gespräche aus der Pause einfach weiter fortsetzen.

„Ich wurde zum alleinigen Sündenbock auserkoren.“
Simone Skroch, Zeugin

Es ist dieselbe Frau. Simone Henneck hat geheiratet. Sie heißt jetzt Skroch und ist 53 statt 49. Sie hat eine andere Frisur, das auch, aber vor allem vermittelt sie im Januar 2013 einen anderen Eindruck. Drei Jahre lang stand sie an der Spitze des Referats „Organisierte Kriminalität“ (OK) im Landesamt für Verfassungsschutz. Das hatte bis 2006 vermeintlich brisante Informationen über Verstrickungen hochrangiger Juristen, Politiker und Polizisten in kriminelle Machenschaften gesammelt. Nachdem im Mai 2007 bekannt wurde, dass es eine solche Materialsammlung gab, begann für Skroch eine Leidenszeit – gesundheitlich, beruflich, juristisch. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

Längst ist sie suspendiert. Seit sechs Jahren werde sie mit Disziplinar- und Ermittlungsverfahren überzogen, sagt Skroch. Auch dass sie ihre Verteidiger bezahlen kann, musste sie sich vor Gericht erstreiten. Derzeit sind drei Ermittlungsverfahren bei der Generalstaatsanwaltschaft anhängig. Zur Last gelegt werden ihr falsche uneidliche Aussage, die Verfolgung Unschuldiger und Verleumdung. „Ich wurde zum alleinigen Sündenbock auserkoren“, sagt sie nüchtern. „Eine dumme Ostjuristin, übermotiviert, fachlich inkompetent, überfordert, mit blindem Jagdeifer, frustriert.“

Skroch war schon zu DDR-Zeiten Staatsanwältin, als unbelastet wurde sie nach der Wende in die sächsische Justiz übernommen. 2001 wechselte sie als Leiterin der Kriminalinspektion Freiberg in den Polizeidienst, bevor sie im September 2003 das neu aufgebaute OK-Referat im Verfassungsschutz übernahm. Einer ihrer Anwälte ist inzwischen Thomas Giesen. Im Fall Skroch sei „seit sechs Jahren der Weg das Ziel“, sagt er. „Ablenken, Sündenbock suchen, Fertigmachen.“ Giesen wird noch deutlicher: „Das ist der wirkliche Sachsensumpf.“ Giesen, der schon als sächsischer Datenschutzbeauftragter keine Konflikte mit CDU-Parteifreunden scheute, ist sich da vollkommen einig mit SPD-Ausschussobmann Karl Nolle. Der hält den Sumpf im Verfassungsschutz im Vergleich zum Umgang der Justiz mit Leuten wie Skroch für eine „trockengelegte Savanne“.

Giesen wiederum bescheinigt seiner Mandantin, sich „peinlich genau“ an die Vorschriften gehalten zu haben: „Sie tat nichts heimlich und stimmte alles mit ihren Vorgesetzten ab.“ Das Bild steht konträr zu dem, das eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission mit Ex-Verfassungsschützer Lutz Irrgang und Ex-Bundesrichter Dietrich Beyer im Herbst 2007 zeichnete. Dem Bericht zufolge wurden „Akten aufgebauscht“, das OK-Referat habe ein „nahezu unkontrolliertes Eigenleben“ geführt. Und „dass die Referatsleiterin auch persönliche Interessen verfolgte, fiel niemandem auf“. Die Zeugin Skroch widerspricht vehement, auch dem Vorwurf, in ihrem Referat seien Beschaffung und Auswertung nicht getrennt gewesen.

Weder Beyer noch Irrgang hätten sie je befragt, in der Expertise fänden sich unbewiesene Behauptungen, auch Gerüchte. Apropos: Die Ex-Verfassungsschützerin steht weiter dazu, dass ihr Referat von mehreren, voneinander unabhängigen menschlichen Quellen Hinweise auf Verwicklungen „höherer sächsischer Polizei- und Justizangehöriger“ erhalten habe. Skroch betont, dass sie und ihre Leute eigentlich nur ihren Job machten, indem sie „Anhaltspunkte für Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität“ zusammentrugen. Aber sie sagt auch, dass Quellen eines Nachrichtendienstes „immer mit Vorsicht zu genießen“ seien. Und dass aus dem Material nur deshalb ein „Sachsensumpf“ werden konnte, weil mit ihm unprofessionell umgegangen wurde.

Auf Anweisung des damaligen Innenministers Albrecht Buttolo (CDU) sollte sie nach den ersten Medienberichten zum „Sachsensumpf“ die Erkenntnisse des OK-Referats aufarbeiten und dem damaligen Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm übergeben. Das Referat war zu dem Zeitpunkt seit einem Jahr aufgelöst, weil die Landespolitik das so entschieden hatte. Skroch hatte im Landesamt für Verfassungsschutz längst ein anderes Referat übernommen. Nachdem sie den Bericht persönlich übergeben habe, hätte die Staatsanwaltschaft eigene Ermittlungen anstellen und die Informationen des Nachrichtendienstes „diskret“ prüfen müssen, findet Skroch. „Vorschnell“ seien stattdessen die Verfahren gegen die Beschuldigten eingeleitet worden. Für Skroch steht außer Zweifel, dass auch für die damals betroffenen Juristen die Unschuldsvermutung zu gelten habe. Gleiches fordert sie für sich ein – und sieht sich damit auf verlorenem Posten. Sie müsse seit sechs Jahren ihre Unschuld beweisen.

„Ablenken, Sündenbock suchen, Fertigmachen. Das ist der wirkliche Sachsensumpf.“ Thomas Giesen, Anwalt

Vor 27 Monaten klagte die Generalstaatsanwaltschaft Skroch wegen der Verfolgung Unschuldiger an, bis heute hat das Landgericht noch nicht über die Eröffnung des Verfahrens entschieden. „Der Verfassungsschutz hat verfassungsgemäß zu beobachten, aber nie zu verfolgen, folglich kann sie gar nicht Täterin sein“, sagt ihr Anwalt Giesen. Wenn ihr dieser Vorwurf gemacht werde, dann frage er, „ob nicht vielmehr die Justiz meine Mandantin unschuldig verfolgt“. Die Generalstaatsanwaltschaft hält dagegen, dass es in der Rechtsprechung umstritten sei, ob der Vorwurf nur Polizeibeamte und Staatsanwälte treffen könne.

Heute sagt Skroch erneut im Untersuchungsausschuss aus. CDU-Obmann Christian Piwarz betont, dass die Affäre „aus allen Blickwinkeln“ ergründet werden müsse. Erst nach der Aussage von Ex-Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos sei „ein einigermaßen genaues Bild“ möglich. Auch Ausschusschef Klaus Bartl (Linke) hat viele Fragen an Boos, nicht nur zu Skrochs Vorwürfen gegen ihn persönlich. Im Unterschied zu Justizminister Jürgen Martens (FDP) sieht Bartl weiterhin „wirklich aufklärungsbedürftige Sachverhalte“ im Untersuchungsausschuss. So wisse er bis heute nicht, warum das OK-Referat plötzlich so schnell aufgelöst wurde.

Von Tino Moritz