Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 10.01.2013

Hauptzeugin: Aktenschwund im "Sachsensumpf"

 
Gestern sagte mit einer Ex-Referatsleiterin aus dem Verfassungsschutz die Schlüsselfigur des Falls im Untersuchungsausschuss aus - Überraschungen blieben dabei nicht aus.

DRESDEN - Das Landesamt für Verfassungsschutz sucht mal wieder Akten. Dieses Mal hat es nichts mit dem Ende 2011 aufgeflogenen und davor jahrelang unentdeckt gebliebenen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zu tun. Jetzt geht es um ein vermeintlich längst verstaubtes Kapitel - den "Sachsensumpf".

Bislang hat er seinen Beinamen "Aktenaffäre" einer umstrittenen Datensammlung zu verdanken, die der Verfassungsschutz zu vermeintlich kriminellen Netzwerken im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) angelegt hatte. Seitdem gestern die einstige OK-Referatsleiterin Simone Skroch (früher Henneck) im Zeugenstand den Vorwurf erhob, dass wichtige und für den Vorgang wesentliche Akten des Geheimdienstes verschwunden sind, kommt dem Beinamen eine gänzlich neue Bedeutung zu.

Konkret listete die 53-jährige Juristin Berichte über Treffen mit Quellen des Verfassungsschutzes sowie Aussagen von sieben Auskunftspersonen auf. Sie hätten unter anderem Hinweise enthalten, dass Kinder aus Osteuropa zum sexuellen Missbrauch nach Leipzig gebracht werden sollten. Auch Informationen über korrupte Polizisten und sexuelle Neigungen von Justizbeamten hätten sich in den Quellenberichten befunden. Das Landesamt reagierte anschließend mit dem Hinweis darauf, dass man um die Vorwürfe fehlender "Unterlagen" wisse. "Diese Behauptungen werden zur Zeit überprüft", sagte Behördensprecher Falk Kämpf.

Skroch verlas mehrere Stunden lang eine Erklärung. Dabei klagte sie auch die sächsische Justiz an. Unter Verletzung ihrer Verteidigungsrechte werde sie seit sechs Jahren mit Disziplinar- und Ermittlungsverfahren überzogen. Allein seit ihrer Aussage im Vorläufer-Untersuchungsausschuss Anfang 2009 seien vier Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage, falscher Verdächtigung und Verleumdung eingeleitet worden.

Auch bei ihrer nunmehr dritten Befragung beteuerte sie, dass mehrere Quellen unabhängig voneinander Daten geliefert hätten. Die Erfassung und Auswertung der Hinweise sei getrennt erfolgt. "Die menschlichen Quellen einer Verfassungsschutz-Behörde sind immer mit Vorsicht zu genießen." Sie habe das beachtet. Die Dresdner Staatsanwaltschaft aber, der die Erkenntnisse im Mai 2007 übersandt worden seien, habe die Angaben nicht diskret behandelt, sondern Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben. Nicht der Verfassungsschutz habe den Ballon aufgeblasen, betonte sie. Als die Vorwürfe dann später als "heiße Luft" abgetan wurden, habe trotzdem dann sie herhalten müssen. "Ich wurde zum alleinigen Sündenbock", sagte Skroch. Als "dumme Ost-Juristin" mit "blindem Jagdeifer" und "blühender Fantasie" sei sie bezeichnet worden.

Bedeutsam könnte Skrochs Aussage vor allem für die weitere Karriere von Verfassungsschutz-Vize Olaf Vahrenhold werden, der schon im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags schwer unter Beschuss steht. Vahrenhold soll 2007 im Vorfeld einer Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission die Anordnung erteilt haben, Akten zu vernichten. Grünen-Obmann Johannes Lichdi fand es bemerkenswert, dass er Skroch angewiesen haben soll, gegenüber der Staatsanwaltschaft nur von einer Quelle zu reden. Nicht nur auf Lichdi wirkte die Zeugin überzeugend. Auch SPD-Obmann Karl Nolle sprach von "Dutzenden Beweisen zu ihrer Entlastung". An Skrochs Seite steht als Anwalt auch ein CDU-Mann: Sachsens Ex-Datenschützer Thomas Giesen. (mit dpa)

von Tino Moritz