Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 09.08.2012

Der Sachsen-Trojaner - Die Regierung will wissen, was die Bürger im Internet umtreibt. Angeblich geht es um „Bürger-Besorgnisse“

 
"Aus meiner Sicht" Perspektivenbeitrag für die SZ von Thomas Giesen
 
In der SZ vom 7. August 2012 las man, die sächsische Staatsregierung plane den Ankauf einer Software für bis zu schlappen 390000 Euro, um erfahren zu wollen, worüber in sozialen Netzwerken wie Facebook diskutiert wird. Zur Aufgabenerfüllung einer Regierung gehöre „zwingend auch die Beobachtung der öffentlichen Debatte im Internet“, um auf „Bürger-Besorgnisse“ rasch reagieren zu können. Ach ja, die Bürgersorgen!

Wenn das stimmt, was ich da lese, fällt mir zunächst ein: Da treffen sich der Blinde und der Taube zum Duell. Der Blinde sagt: „Ist der Taube schon da?“ Und der Taube sagt: „Hat der Blinde schon geschossen?“

Dieser Innenminister oder wer da sonst verantwortlich ist, hat den Schuss nicht gehört; er hat auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Verarbeitung personenbezogener Daten nicht gelesen, jedenfalls nicht verstanden. Das Niveau, es ist halt so! Das liegt an der Beflissenheit: Die Politiker wollen sich dem Zeitgeschmack anpassen. Wie stehe ich da? Das ist die bange Frage. Ihre juristischen Mitarbeiter passen sich den Ideen der Politiker an. Für ein Verständnis für das öffentliche Amt, für seine Beschränkung auf gesetzliche Aufgaben und Befugnisse ist da kein Platz. Spätgesellschaft. Hemmungslos. Unfähig.

Zunächst zur Technik: Sie können nicht in die – wohlgemerkt private und gerade nicht öffentliche – Korrespondenz im Internet „hineinhören“, ohne den Datenschutz zu verletzen, zumindest eine logische Sekunde lang, bis die Nutzerkennungen gelöscht (oder eben auch mal nicht gelöscht) sind. Das ist wie beim Bundesnachrichtendienst. Es handelt sich bei solcher Software „zur Beobachtung (Monitoring) der Kommunikation in sozialen Netzwerken und der Blogosphäre (Social Web) einschließlich Schulung der Mitarbeiter des Auftraggebers“ also um ein Werkzeug zur rechtswidrigen und schuldhaften Verletzung der Privatsphäre. Das ist zwar nur dann strafbar nach Paragraf 202a Strafgesetzbuch, wenn besondere Sicherungen gegen unbefugten Zugang überwunden werden – da müsste man sich die teure Software erst mal ansehen. Aber mich interessiert auch nicht, ob das strafbar ist, weil man ja weiß, dass Ermittlungsverfahren dieser Art in Sachsen ergebnisfrei bleiben. Aber, Leute, es gibt auch noch Paragraf 38 des Sächsischen Datenschutzgesetzes: Bußgeld und Verdammnis (denn hier würde zudem der Verfassungsminister zum Täter!) drohen dem, der Daten unbefugt verarbeitet. Nein, mich interessiert die Haltung, die hinter solch einem Amtsverständnis steckt. Allein, ich stocke schon bei dem Wort Haltung.

Das höchste deutsche Gericht spricht seit dem 27. Februar 2008 von dem Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Es wurzelt in der Menschenwürde und in dem Recht auf freie Entfaltung. Dicke Brocken. Diese Verwurzelung ist nötig, weil die Technokraten auf den Posten und Pöstchen dumme Ideen haben und Vertraulichkeit nur im Zusammenhang mit Parteispenden kennen. Sie nennen die freien Bürger „Quellen“. Ja, so steht es in der Ausschreibung. Davon muss man sie befreien: Natürlich ist die Verwaltung nicht dazu da, zu beobachten, was in privater Kommunikation geschieht. So weit waren wir eigentlich schon 1989. Und am Rande, Herr Minister: Die Rechtsgrundlage für eine öffentliche Aufgabe und Befugnis muss bereichsspezifisch und normenklar sein. Suchen Sie nicht herum: Es gibt sie nicht!

Der Topos von der „Debatte“ hört sich zwar gelehrt an, ist aber das Eingeständnis, auch diesen Begriff nicht durchdrungen zu haben: Denn Debatte ist ein öffentliches Wortgefecht über ein aktuelles Diskussionsthema. Das nun findet aller Erfahrung nach in sozialen Netzwerken gerade selten statt oder allenfalls als Abklatsch von medial geführten Auseinandersetzungen. In der Tat sagt uns Peter Sloterdijk sarkastisch, dass die moderne Nation sich nur noch definiert als Gemeinschaft derer, die von den gleichen medialen Aufregern, den Säuen im Dorf, umgetrieben werden.

Mein Rat an diese Staatsminister (beinah hätte ich geschrieben „Staatssinister“): Zeitungen lesen und dann lange nachdenken! Und unangenehme, gänzlich unpolitische Mitarbeiter pflegen, die nur die Wahrheit sagen. Und bitte Konzentration auf die gesetzlichen Aufgaben; sie mit Format zu erfüllen wäre Ihnen schwer genug.

Das Vorhaben erinnert mich an die Idee von der „Befindlichkeits-Befragung“ der Landeshauptstadt, die zu Recht im Orkus versunken ist: Man befragt die lieben Mitmenschen nach ihren Sorgen. Der Staat als allsorgender, betreuender und vormundschaftlicher Onkel wird sich kümmern. Der gute Daseinsversorger. Und reich scheint er auch zu sein. Und anpasserisch. Und liebedienerisch. Und ein kleines bisschen machtversessen. Und rechtsvergessen.

Man schiebt sich den Trojaner in die eigene Gesellschaft, um mitschwätzen zu können, denn für eigenständige Gedanken ist es zu schwül.