Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 25.07.2012

Schredder bringt Ulbig in Not - Vernichtung einzelner Aktenstücke ist verboten / Datenschützer Schurig leitet Prüfverfahren ein

 
Dresden. Neue Dimension in der Affäre um geschredderte Neonazi-Akten beim Verfassungsschutz: Entgegen offizieller Verlautbarungen war die Aktion vom Gesetz offenbar nicht gedeckt, Sachsens oberster Datenschützer Andreas Schurig hat ein offizielles Prüfverfahren eingeleitet. Damit droht Innenminister Markus Ulbig (CDU) ein massives Problem.

Das Dementi ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem die Leipziger Volkszeitung von der Vernichtung geheimer Akten beim Landesamt für Verfassungsschutz berichtet hatte, ging dessen Präsident Reinhard Boos umgehend an die Öffentlichkeit. Ausführlich versuchte er zu rechtfertigen, was seine Behörde so treibt. Tenor: Ja, es habe sehr wohl Schredder-Aktionen gegeben im vergangenen halben Jahr. Dabei seien über 5000 Aktenstücke in den Reißwolf gewandert, rund 800 aus dem Bereich Rechtsextremismus. Es habe sich aber nicht um Daten mit NSU-Bezug gehandelt - nichts also, was die Ermittlungen zur Zwickauer Neonazi-Zelle betreffen oder behindern könnte.
Und weil Boos offenbar in Plauderlaune war, präsentierte er ohne Not Details. "Das waren teilweise nur einzelne Blätter", gab er zum Besten, und geschreddert worden sei natürlich auch nur "aufgrund gesetzlich vorgeschriebener Löschfristen beim Datenschutz". Das war vor eineinhalb Wochen und gilt seitdem als allgemeine Lesart in Sachsen. Ähnlich wie Boos haben sich dann auch Ulbig und der Chef der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK), Günther Schneider (CDU), geäußert. Das Ganze hat nur einen Haken: Es ist ganz offensichtlich verkehrt.

Dazu genügt ein Blick ins sächsische Verfassungsschutzgesetz. Laut Paragraf 7 (Absatz 4) dürfen Akten mit persönlichen Daten nur dann vernichtet werden, "wenn die gesamte Akte zur Aufgabenerfüllung nicht mehr benötigt wird". Im Klartext: Das Schreddern von Teilbeständen ist nicht vom Gesetz gedeckt, und das einzelner Blätter schon gar nicht.

Das hat Folgen. Boos hat mit seinem Hinweis Sachsens Datenschutzbeauftragten wachgerüttelt, und der hat jetzt auf seine Weise reagiert. Schurig hat einen Prüfauftrag eingeleitet, fordert vom Verfassungsschutz eine Stellungnahme. Die Antwort steht zwar noch aus, doch bereits jetzt zeichnet sich ab: Die Argumentationsbasis des Geheimdienstes ist mager. So ist es kein Zufall, dass Andreas Schneider, Sprecher des Datenschutzbeauftragten, die Richtung anzeigt. "Das Entfernen und Vernichten einzelner Aktenstücke findet keine gesetzliche Stütze", gibt er zu Protokoll. Denn würden einfach nur Blätter geschreddert, wäre die Arbeitsweise der Geheimen nicht mehr nachvollziehbar. "Aufsichts- und Kontrollbehörden könnten dann niemals sicher sein, ob nicht Teile der Akten fehlen."

Das ist vorsichtig formuliert, in der Sache aber eindeutig. Das trifft nicht zuletzt jene, die die Lesart von Boos seit Tagen wiederholen: PKK-Chef Schneider und Ulbig. Das Innenministerium wiederum sieht kein rechtliches Problem bei der Schredder-Aktion. Das Argument: Neben Paragraf 7 Verfassungsschutzgesetz greife eine Dienstvorschrift aus dem Jahr 2000, wonach einzelne Aktenstücke vernichtet werden dürften. Dies sei damals mit dem Datenschützer abgestimmt worden. Hier widerspricht Schurig-Sprecher Schneider. Die Datenschützer hätten die Dienstvorschrift vorsorglich geprüft. Ergebnis: Sie habe in diesem Fall keine Bedeutung. Mittlerweile hat die Opposition die Brisanz erkannt. "Die Vorstellung, dass Mitarbeiter des Verfassungsschutzes seit Monaten unkontrolliert nach und nach Aktenteile herausnehmen und vernichten, ist unerträglich", sagt Johannes Lichdi (Grüne).

Von Jürgen Kochinke