Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 17.07.2012
"Beim Überwachen stoßen wir an Grenzen" - Innenminister Markus Ulbig drängt nach Pannen auf Veränderungen beim Geheimdienst.
"Beim Überwachen stoßen wir an Grenzen" - Innenminister Markus Ulbig drängt nach Pannen auf Veränderungen beim Geheimdienst.
Herr Minister, welche Akten sind im Landesamt für Verfassungsschutz geschreddert worden?
Das Landesamt hat klare gesetzliche Vorgaben. Sie regeln, was mit Daten passiert, die nicht mehr benötigt werden. Da gibt es klare Fristen, wann solche Daten gelöscht werden müssen. Da gibt es keinen Ermessensspielraum. So hat es Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos erklärt. Es sind davon aber keine Vorgänge berührt, die den Komplex des nationalsozialistischen Untergrunds betreffen.
Hatten diese Akten aber Bezug zu eventuellen Unterstützern der NSU-Mitglieder?
Das schließt der Verfassungsschutzpräsident aus. Es wurden keine Erkenntnisse gelöscht, die im Zusammenhang zum NSU stehen.
Womöglich handelt es sich um Angaben zu Angehörigen von Verdächtigen?
Ich wiederhole mich: Der Verfassungsschutz hat bei der Vernichtung von personenbezogenen Daten keinen Spielraum. Da gibt es enge Vorschriften. Mit immer neuen Spekulationen kommen wir doch nicht weiter.
Verfassungsschutzpräsident Boos kündigte seinen Rückzug an, nachdem unbekannte Abhörprotokolle im NSU-Zusammenhang aufgetaucht waren. Bedarf es einer Reform der Verfassungsschutzämter?
Ich denke, im gesamten Bereich des Verfassungsschutzes ist der Wurm drin. Das merken wir ja derzeit allenthalben. Deshalb ist es richtig, dass wir eine Diskussion über Veränderungen führen. Vor allem mit Blick auf Strukturen, Zuständigkeiten und Aufgaben. Das erwarten die Menschen im Land von uns. Denn durch all das, was wir gerade erlebt haben, ist ja auch das Vertrauen verloren gegangen. Der Prozess, der jetzt ansteht, muss darauf ausgerichtet sein, verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Wir müssen bereit sein, über Veränderungen zu reden.
Welche schweben Ihnen vor?
Die sogenannte Zentralstellenfunktion beim Bundesamt vom Verfassungsschutz sollte aus meiner Sicht gestärkt werden. Gerade im Fall des NSU hat man bemerkt, dass es eine Art Schalterfunktion geben sollte. Konkret: Wenn Sicherheitsbehörden bemerken, dass gewaltbereite Rechtsextremisten über Ländergrenzen hinweg agieren, muss bildlich gesprochen ein Schalter umgelegt werden, der die Koordination seitens des Verfassungsschutzes klar regelt. So, dass erst gar keine Diskussion aufkommt, welches Verfassungsschutzamt von Bund oder Ländern zuständig ist. Zudem bin ich für klarere Regelungen, was die Überwachung von rechtsextremistischen Aktivitäten im Internet angeht. Da kommen die Länder im wahrsten Sinne des Wortes rasch an ihre Grenzen. Sie müssen vom Bund besser einbezogen werden.
Welche Veränderungen gibt es beim sächsischen Verfassungsschutz? Die NSU-Abhörprotokolle fand man ja offenbar, weil bei Umstrukturierungen Schränke verrückt wurden.
Natürlich gibt es Veränderungen, die schon im Gange sind. Das Referat Rechtsextremismus wird umstrukturiert. Wenn man eine Erkenntnis aus dem NSU-Fall gewinnen kann, dann doch die, dass es kein Gesamtbild gegeben hat. Viele Mitarbeiter haben ihre Sacharbeit gemacht. Es gab viele Beobachtungen, die aber nicht zusammengeführt wurden. Wir müssen daran arbeiten, dass jede Information, die künftig im Landesamt ankommt, durch eine Art Filter läuft. Konkret: Der Beamte, der für Sachsen einen Teil der Woche beim Bund-Länder-Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus ist, muss diese Informationen erhalten. Genau wie der, der sich mit dem Staatsschutz in einer gemeinsamen Stelle austauscht.
Sehen Sie einen Anlass, den Verfassungsschutz aufzulösen?
Nein. Die Arbeit des Dienstes müsste dann die Polizei machen. Unter den Nazis gab es bereits eine geheime Staatspolizei, die Gestapo. Aufgrund dieser Erfahrungen ist die Trennung in Polizei und Verfassungsschutz sinnvoll.
Sehen Sie einen Rücktrittsgrund?
Nein.
Die Fragen stellte Thilo Alexe.