Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 12:20 Uhr, 25.05.2012
NSU-Ermittlungen: BGH hebt Haftbefehl gegen Holger G. auf
25. Mai 2012, 12:20 Uhr
Er sagte umfangreich gegen die Mitglieder der Zwickauer Terrorzelle aus und gestand, das Trio unterstützt zu haben - nun hat der Bundesgerichtshof den Haftbefehl gegen Holger G. aufgehoben. Es lasse sich derzeit nicht beweisen, dass G. mit den Mordanschlägen rechnen konnte.
Karlsruhe - Am 13. November 2011 wurde Holger G. als mutmaßlicher Unterstützer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) festgenommen. Er kooperierte mit den Ermittlungsbehörden und sagte umfangreich gegen die Mitglieder der Zwickauer Terrorzelle aus. Bereits in einer ersten Vernehmung räumte G. ein, die beiden Rechtsradikalen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unterstützt zu haben.
Nun ist G. auf freiem Fuß: Der Bundesgerichtshof (BGH) hob den Haftbefehl gegen den 37-Jährigen auf. Es gebe keinen dringenden Tatverdacht, dass er den NSU unterstützt habe, entschied der Strafsenat am Freitag in Karlsruhe. G. wird unter anderem vorgeworfen, eine Pistole besorgt zu haben.
Der Haftbefehl gegen G. war am 14. November 2011 erlassen und am 24. Februar 2012 erweitert worden. Darin wurde ihm vorgeworfen, er habe den am 4. November verstorbenen NSU-Mitgliedern Böhnhardt und Mundlos im Jahr 2001 oder 2002 im Auftrag des ebenfalls inhaftierten Ralf Wohlleben eine Pistole überbracht und damit Beihilfe zu den Morden und Banküberfällen des NSU geleistet.
Weiter habe er Böhnhardt, Mundlos und die ebenfalls der Mitgliedschaft im NSU verdächtige Beate Zschäpe dadurch unterstützt, dass er ihnen 2004 seinen Führerschein, 2006 eine fremde Krankenversichertenkarte und schließlich im Mai 2011 einen von ihm eigens für diesen Zweck beantragten Reisepass zur Benutzung überlassen habe.
"Kein notwendig dringender Tatverdacht"
Was den Vorwurf der Beihilfe zum Mord betrifft, sieht der BGH keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, "dass die Übergabe der Pistole die nachfolgenden, erst ab Anfang 2004 begangenen Taten des NSU - wie erforderlich - objektiv in irgendeiner Weise erleichtert oder gefördert hat". Das erklärte der Gerichtshof in einer Mitteilung. Die Pistole habe nicht als eine der Tatwaffen identifiziert werden können.
Auch für die sonstigen Vorwürfe der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung geht der Strafsenat "nicht von einem für die Anordnung von Untersuchungshaft notwendigen dringenden Tatverdacht aus", hieß es in der Mitteilung. Die Gruppierung habe sich bei der Planung und bei der Durchführung ihrer Anschläge streng abgeschottet. Außerdem habe sie davon abgesehen, sich zu ihren Taten zu bekennen.
"Vor diesem Hintergrund lasse sich die Einlassung des Beschuldigten, er habe mit Mordanschlägen des Trios nicht gerechnet und ihnen solche auch nicht zugetraut, derzeit nicht hinreichend sicher widerlegen", begründet das Gericht G.s. Freilassung.
Als Mitläufer der rechten Szene bekannt
Das Neonazi-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe war im November aufgeflogen. Der Generalbundesanwalt macht die Terrorzelle bisher für neun Morde, zwei Sprengstoffanschläge und 14 Banküberfälle verantwortlich. Weitere Tötungsdelikte schließt das Bundeskriminalamt nicht aus.
G. hatte in seiner Vernehmung gestanden, 2001 oder 2002 - angeblich im Auftrag Wohllebens - eine Waffe zu dem Trio gebracht zu haben. Er habe eine Reisetasche mit einem Stoffbeutel transportiert, den ihm Wohlleben gegeben habe. Darin habe er eine Pistole ertastet. Auf seine Fragen habe Wohlleben geantwortet, G. wisse besser nicht, was die drei damit vorhätten. Danach will sich G. geweigert haben, weitere Kurierdienste für das Trio zu übernehmen; mit Waffen wollte er nach eigener Aussage nichts zu tun haben. Bis auf ein paar Unterbrechungen habe G. allerdings weiterhin ein- bis zweimal pro Jahr mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe telefoniert.
G. war nach Angaben des niedersächsischen Verfassungsschutzes nur als Mitläufer der rechten Szene bekannt. Er sei nur bis zum Jahr 2004 durch rechtsextreme Aktivitäten in Erscheinung getreten.
Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert politische Konsequenzen wegen der jahrelang unentdeckt gebliebenen Neonazi-Mordserie. Der Vorsitzende Kenan Kolat bezeichnete die Äußerungen von Bayerns früherem Innenminister Günther Beckstein im Bundestags-Untersuchungsausschuss als "völlig unzureichend". Der CSU-Politiker hatte die Vorwürfe gegen ihn und die Landesbehörden im Umgang mit der Mordserie zurückgewiesen.
siu/dpa/dapd