Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 16.07.2009

DDR-Vergangenheit:: Gastronom macht Tillich schwere Vorwürfe

Die Vorwürfe gegen Sachsens Regierungschef Tillich wegen seines Verhaltens zu DDR-Zeiten gehen weiter.
 
Die Vorwürfe gegen Sachsens Regierungschef Tillich wegen seines Verhaltens zu DDR-Zeiten gehen weiter. Jetzt meldet sich erstmals ein Betroffener persönlich zu Wort. Der frühere Hotelpächter beschuldigt Tillich, ihm im Sommer 1989 aus politischen Gründen seiner Existanzgrundlage beraubt zu haben.

Das Geheimnis der Vergangenheit von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich verbirgt sich in fünf blauen Kisten des Kreisarchivs der Stadt Kamenz. Die dort gelagerten Papiere sind brisant. Ihr Inhalt belegt, wie der CDU-Politiker als Staatsfunktionär im SED-Regime agierte. „Das war kein Ruhmesblatt“, räumte Tillich jüngst ein. Zuvor hatten Zeitungen berichtet, dass er 1989 an fünf Zwangsenteignungen von Gebäuden und Grundstücken beteiligt war.

Jetzt sind in Kamenz abermals Unterlagen entdeckt worden, die Tillich kompromittieren. Danach hat der Dresdner Regent vor zwanzig Jahren einem Gastronomen die Existenzgrundlage geraubt. Die Macht dazu hatte Tillich – er rückte am 25. Mai 1989 als Stellvertreter des Vorsitzenden in den Rat des Kreises Kamenz ein. Das Mitglied der Block-CDU war damit eine Art Landratsvize. Nur einen Tag nach seiner Ernennung beantragte Tillich in einer Ratssitzung, dem Pächter des „Hutberghotels“, einem beliebten Ausflugziel der Kamenzer Bürger, die Gewerbeerlaubnis zu entziehen.



Das überlieferte Schriftgut legt nahe, dass der Schritt ideologisch motiviert war. Die Gründe dafür teilte Tillich dem Betreiber am 5. Juni 1989 persönlich in einer Postzustellungsurkunde mit. Es sind Gründe, die in der DDR oft herhalten mussten, um politisch missliebige Gewerbetreibende aus dem Geschäft zu drängen: „Unvollständigkeit der Preisnachweisunterlagen“, „Behinderung der Kontroll- und Prüfungsorgane“, „keine Einkommensnachweise für Tanzveranstaltungen“, „Nichteinhaltung der mit dem örtlichen Organ abgestimmten Öffnungszeiten.“


"War da noch was, Herr Tillich?"

Den mitten im Landtagswahlkampf steckenden Tillich dürfte der jüngste Archivfund kaum behagen. Er heizt erneut die schon seit acht Monaten laufende Debatte über seinen Umgang mit der DDR-Vita. Und anders als bei bisherigen Enthüllungen aus seinem Vorleben meldet sich dieses Mal ein Zeitzeuge zu Wort. Er ist 66 Jahre alt, heißt Peter Kurras und war als Pächter des „Hutberghotels“ einst der Empfänger des von Tillich abgefassten Schreibens. Der Rentner, der mit 600 Euro im Monat auskommen muss, sagt heute: „Dieser Brief hat mein Leben ruiniert.“

Ausfindig gemacht hat Kurras – und das macht die Sache für Tillich zusätzlich heikel – die „Super-Illu“. Das auflagenstarke „Zentralorgan des Ostens“, wie das Blatt genannt wird, breitet den Stoff in der aktuellen Ausgabe auf gleich fünf Seiten aus und lässt wenig Zweifel daran aufkommen, wer in dieser tragischen Geschichte Opfer und wer Täter war. Die Überschrift: „War da noch was, Herr Tillich?“

Auf Anfrage sagte der Ministerpräsident WELT ONLINE, er könne aus der Erinnerung nach über 20 Jahren zu dem Vorgang keine Angaben mehr machen: „Derartige Vorgänge hat es jedoch gegeben. Gewerbegenehmigungen und Gewerbeentzüge gehörten zum laufenden Betrieb.“ Kurras hingegen erinnert sich genau an den für ihn bitteren Vorgang und sein bewegtes Leben in der DDR.

Die Mielke-Leute nicht abgeschüttelt

Als 17-Jähriger wurde der Ost-Berliner Fleischerlehrling von Stasi-Leuten verhaftet, die ihm bei der Festnahme die Vorderzähne einschlugen. Wegen „feindlicher Nachrichtenübermittlung“ und „Spionagetätigkeit“ musste er für 27 Monaten ins Zuchthaus; seine Haft saß er größtenteils in Bautzen ab. Nach der Wiedervereinigung wurde Kurras rehabilitiert, eine Opferrente blieb ihm allerdings verwehrt. Das hat mit einer Episode zu tun, von der Kurras mittlerweile sagt, er habe einen großen Fehler begangen, für den er sich schäme.

Im Alter von 30 ließ sich Kurras als IM „Dietrich“ selbst mit dem DDR-Geheimdienst ein – nach seiner Darstellung unter Druck und der Zusage einer Ausreise in die Bundesrepublik. Die wurde ihm verwehrt, obwohl er entsprechende Anträge stellte. Mitte der Achtzigerjahre glaubte Kurras, die Mielke-Leute abgeschüttelt zu haben. Ein Irrtum, die Stasi wurde 1988 wieder vorstellig.

Kurras flüchtete nun aus der „Hauptstadt der DDR“ nach Kamenz, wo er ab Weihnachten 1988 das zuvor verwaiste „Hutberghotel“ betreiben durfte. Mit seinen Mitarbeitern bewirtete er an Feiertagen bis zu 1000 Gäste. Sein Lokal war weit über Kamenz hinaus beliebt, in Bussen kamen Ausflügler. Sogar der SED-Bürgermeister war über „den wichtigen und geschätzten Beitrag zur Versorgung unserer Bürger“ angetan. Am 4. April 1989 erhielt Kurras sogar noch den Nutzungsvertrag für den großen Biergarten des Hotels. Dann drehte sich plötzlich der Wind.

"Die wollen dich fertig machen!"

Offenbar hatten die Verantwortlichen erst jetzt mitbekommen, dass der Mann auf dem Hutberg wegen Spionage in Bautzen gesessen hatte. Das war auch aus einem anderen Grund sensibel. Unter dem Dach des Hotels, dem höchsten Punkt der Stadt, war damals eine Funkanlage installiert. Der Funkverkehr der Volkspolizei und der zivile Telefonverkehr der Stadt wurden darüber abgewickelt. Der Zutritt war Kurras streng untersagt.





Als dann Zweifel an seiner Zuverlässigkeit aufkamen, lief die Maschinerie des Unrechtsstaates an. Kurras wurde von Volkspolizisten zur Rede gestellt, von Inspekteuren der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion drangsaliert und Betriebsprüfern der HO schikaniert. Schließlich schaltete sich Tillich ein und beendete Kurrras' Traum von der Nischenexistenz in der sächsischen Provinz. Das „Hutberghotel“ verwaiste erneut.

Kurras ist überzeugt, dass damals ein Vorwand gesucht wurde, um ihm am Zeug zu flicken: „Ich merkte mehr und mehr: die wollen dich fertig machen!“ Seine Stasi-Akte liegt WELT ONLINE bislang noch nicht vor. Abzuwarten bleibt, welche Namen dort verzeichnet sind. Tillich Regierungszentrale hat sich mittlerweile aus dem Kreisarchiv in Kamenz die Unterlagen zu dem Vorgang besorgt. Gut möglich, dass das Thema im Wahlkampf noch eine Rolle spielt.

URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/article4126468/Gastronom-macht-Tillich-schwere-Vorwuerfe.html