Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 15.02.2002

Was macht der "Chefaufklärer" ohne die "Droge Biedenkopf"?

aber Nolle räumt ein: "Sachsen wird ärmer" - "Ich bin nicht so ein hässlicher Mensch"
 
DRESDEN. Was wird er machen, nachdem Kurt Biedenkopf zurückgetreten ist? - "Der Karl fällt in ein Loch", fürchtet ein SPD-Mann um seinen Genossen. Wenn Politik eine Droge ist, dann hatte Biedenkopf für Nolle die Wirkung von Heroin. Droht jetzt, da der Rausch der Medien-Dauerpräsenz verfliegt, der schmerzliche Entzug? - Noch ist Biedenkopf Ministerpräsident, noch genießt Nolle die Vorfreude auf den 18. April. An diesem Tag wird er sich zugute halten, derjenige gewesen zu sein, der den Sturz des Sachsen-Königs betrieben hat.



Ob ihn zwischenzeitlich Zweifel an seinem Tun befallen haben? - Mit seinem Bild in der Öffentlichkeit ist Nolle jedenfalls nicht glücklich. "Ich bin nicht so ein hässlicher Mensch, wie ich manchmal dargestellt werde." Eher sei er feinfühlig und sensibel. "Ein bisschen zu trommeln gehört zum Geschäft", schmunzelt er, "zu polarisieren ebenfalls". Frei nach Brecht müsse man schon einmal über das Ziel hinausschießen, um es zu treffen.

Selbstzufriedenheit ist bei Nolle keine optische Täuschung. Das Bild des Schwergewichts, das ebenso hart im Austeilen wie im Einstecken ist, passt zu seiner tief sitzenden Überzeugung, der Richtige gewesen zu sein, um den sächsischen Thron zu Fall zu bringen. "Es war mein Job, und ich habe ihn mustergültig gemacht". Andere Meinungen erwähnt er beiläufig. "Als Typ habe ich das Problem, Feinde zu haben". Die schrieben ihn per Kurzadresse an: "Nolle, das Schwein, Dresden". Dass die Post ihn dennoch erreichte, verbucht er als Bestätigung seines Bekanntheitsgrades.

Auch in seiner eigenen Partei orientiert sich Nolle eher am Ergebnis seiner Kampagne. Seine rüden Methoden haben die Mehrzahl seiner Abgeordnetenkollegen auf Distanz gehen lassen. "Aber der Erfolg hat viele Väter, und am Ende sind es immer mehr Väter geworden", stellt er einen Stimmungswandel fest. Dass er 2004 erneut einen sicheren Listenplatz erhält, sieht Nolle allerdings noch mit Skepsis. Der "Mikrofon-Beißer", wie ihn Fraktionschef Thomas Jurk titulierte, hat mit seiner Schlagzeilen-Gier nicht nur freistaatliches Harmonie-Bedürfnis verletzt.

Professionell wie bisher kein Zweiter im Lande hat Nolle die technischen Mittel der modernen Mediengesellschaft zur Verbreitung von Gerüchten, Strafanzeigen, Kleinen Anfragen oder Kommentaren in eigener Sache eingesetzt. 60 Journalisten bediente er oft rund um die Uhr per Fax, E-Mail oder SMS, dazu hunderte Parteigefährten.

Einige Stunden täglich widmete er dem Aufklären der Selbstbedienungsvorwürfe gegen Ingrid und Kurt Biedenkopf. Hinweise auf Verfehlungen am Hofe fanden im Volksvertreter Nolle eine Adresse, die Sachsen wieder zu republikanischem Verhalten zurückführen soll. So viele anonyme Hinweise - von enttäuschten CDU-Anhängern, frustrierten Ministerial-Mitarbeitern oder Personenschützern, die sich zu Kindermädchen oder Dienstboten degradiert fühlten - habe er gar nicht verfolgen können.

Hass auf Biedenkopf? - "Nein, Hass ist billig", wehrt Nolle den Eindruck ab. Wenn er ihn geschürt haben sollte mit Hinweisen auf eine nationalsozialistische Vergangenheit der Eltern Ingrid Biedenkopfs, dann räumt er ein, zwei Fehler gemacht zu haben. "Ich habe diesen Vorwurf emotional mit Sebnitz verbunden, und ich habe die Bereitschaft hierzulande unterschätzt, sich mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen."

Eine Droge sei die einjährige Beschäftigung mit Paunsdorf, Schevenstraße oder Chiemsee-Haus nicht gewesen. "Es hat Spaß gemacht", sagt Nolle und spricht von nächtlichen Sitzungen mit Juristen, in denen Strafanzeigen ausgearbeitet wurden. "Da muss man höllisch aufpassen, dass man den Konjunktiv und Fragezeichen einarbeitet". Doch wird nicht sein Politiker-Leben ärmer ohne Biedenkopf? - "Das Land wird ärmer", geht Nolle einen Schritt weiter, um einzuschränken, "wenn ich an den Biedenkopf der ersten Jahre denke".

Nolle ist widersprüchlich in seinem Verhältnis zum scheidenden Ministerpräsidenten. Biedenkopf fasziniert ihn mit seiner Intelligenz, und er fühlt sich geschmeichelt, dass dieser nach einer Ausschuss-Sitzung auf ihn zuging, um ihn zu warnen, einer Indiskretion, die zu ihm gelangen könnte, Glauben zu schenken. Zugleich wertet er ihn gnadenlos ab. "Biedenkopf ist Imagination, er ist ein Marketing-Produkt. Seine Intelligenz ist Meinhard Miegel."

Biedenkopf, der Kitt, der die CDU-Fraktion zusammenhalte, Biedenkopf, der Sachsen Glanz und Gloria zurückgebracht, Biedenkopf, der die Union in Sachsen stark gemacht hat: Auch das sind Nolle-Urteile, die deutlich machen, wie er seine Rolle gesehen hat: "Als SPD-Mann habe ich es als meine Aufgabe gesehen, die Biedenkopf-Hochburg Sachsen zu schleifen." Zunehmend wohlwollend habe das Kanzler Gerhard Schröder, sein Freund, verfolgt.

Sachsen sei heute nicht mehr das, was es einmal war. "Das ist ebenfalls ein Ergebnis meiner Provokation und Beharrlichkeit". Nolle denkt auch an die CDU und Biedenkopfs Nachfolger. "Das ist eine bunte Truppe", lautet sein Urteil, "die sind sich nur einig gegen Biedenkopf, aber nicht untereinander." Dass Milbradt und Winkler nun ihre Chance sehen, hätten sie ihm zu verdanken. Noch ist er für ihn eine "jüngere Ausgabe von Biedenkopf", der Kompromisse mit den "Altlasten des Systems" schließen müsse.

Mit seiner Offenheit für alle Koalitionen hat sich Nolle auch in der SPD Kritik eingehandelt. Wenn er von Kooperationsfähigkeit spricht, die sich vor Koalitionsgesprächen beweisen müsse, denkt er nicht nur an die CDU ("Das sind politische Eunuchen"), sondern auch an die PDS. Für seine eigene Partei hat er sich bereits jetzt festgelegt: 2004 soll Wolfgang Tiefensee als Spitzenkandidat antreten. "Ich glaube, er macht es auch. Und dann muss sich die CDU warm anziehen."

Wenn Biedenkopf abgetreten ist, gewinnt Nolle wieder mehr Zeit für seine eigentliche Aufgabe. Als wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD kann sich der Unternehmer dann verstärkt dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Abwanderung widmen. Schon jetzt zeigt er sich angetan, wenn er vor seinen Kollegen auftritt: "Die Leute sind überrascht, dass ich realistisch und ohne ideologischen Ballast argumentiere."
(Von Hubert Kemper)

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