Karl Nolle, MdL

TAZ - Die Tageszeitung, 26.08.1999

Die schwachen, forschen Maenner der SPD

In Sachsen und Thueringen wird gewaehlt
 
Karl-Heinz Kunckel hat schlechte Karten, Kurt Biedenkopf zu stuerzen. Richard Dewes, Thueringen, wird es wohl eher reissen - trotz eklatanter Fehler als Innenminister

Im vergangenen Herbst frohlockten die Sozialdemokraten. Nach der Bundestagswahl dachten sie, nun werde der Osten rot. Nur noch weniger als ein Drittel der Ostdeutschen hatten bei der Bundestagswahl ihre Stimme den Christdemokraten gegeben. Sachsens absolut regierende CDU buesste ueber 15 Prozent ein, die Thueringer SPD wurde erstmals staerkste Kraft - mit deutlichem Vorsprung. Wahlforscher machten ein erstarktes Sozialstaatsempfinden bei den gelernten DDR-Buergern aus. Dies werden die naechsten Landtagswahlen entscheiden - zugunsten der Sozialdemokraten.

Bald ist es soweit. Am 12. September bestimmen die Thueringer ihr neues Parlament, eine Woche spaeter gehen die Sachsen. Mecklenburgs Regierungschef Harald Ringstorff (SPD), der 1998 von der linken Stimmung im Osten am staerksten profitierte, sagt heute: "Gott sei Dank sind bei uns erst wieder in drei Jahren Wahlen." Damit trifft er die Wahlkampfstimmung, die sich im Suedosten breit macht. Von der sozialdemokratischen Euphorie des vergangenen Herbstes ist nichts uebrig geblieben. Ringstorff sagt heute: "In der Anfangsphase der Regierungsarbeit im Bund sind gravierende Fehler gemacht worden." Das schlage sich auch in den Laendern durch.

"Ich bleibe optimistisch", sagt Sachsens SPD-Chef und Spitzenkandidat Karl-Heinz Kunckel. Woher er seinen Optimismus nimmt, ist unklar: Nach letzten Umfragen muss die SPD zum ersten Mal fuerchten, hinter der PDS nur noch drittstaerkste Kraft zu werden. Trotzdem wird Kunckel nicht muede, sein Wahlziel zu agitieren: die absolute CDU-Mehrheit knacken. Er wurde bereits mit einem Boxer (FR) verglichen. Kunckel sei eher ein Nehmer und Steher. Kein elegant taenzelnder Champ, keiner, der taktiert, der austeilt, der hart zuschlaegt. Er kann gut einstecken. Mit seinem vehementen Festhalten an kaum Erreichbarem arbeitet er auf den naechsten Knockout geradezu hin.

Dabei ist sein Problem weniger in Berlin als vielmehr in Dresden zu orten. "Rente mit 65, Kurt", stand auf einem Transparent, das Jusos den Delegierten zum vergangenen CDU-Parteitag in Leipzig entgegenreckten. Minsterpraesident Biedenkopf, bald 70, denkt ueberhaupt nicht ans Aufhoeren. Seine Popularitaet in Sachsen ist ungebrochen. Kunckel, nicht gerade ein glaenzer Rhetoriker, hat gehoerige Probleme, sozialdemokratische Alternativen aufzuzeigen. Ueber zwei Drittel der Sachsen sind mit der Regierungsarbeit zufrieden. Zumindest die naechsten fuenf Jahre will "Koenig Kurt" weiterregieren. Nach den letzten Umfragen - fuer die CDU wurden 55 Prozent registriert - steht dem nichts im Wege. Die SPD kommt auf 17, die PDS auf 18 Prozent.

Die Situation heute erinnert stark an 1994. Waehrend Biedenkopf zur damaligen Landtagswahl 58 Prozent einfuhr, musste sich Kunckel mit 16,8 Prozent begnuegen. Das schlechteste Ergebnis einer Landes-SPD deutschlandweit.

Biedenkopf findet das Verhalten seines Widersachers "bemerkenswert". "Woher hat der Kunckel damals nur die Kraft genommen weiterzumachen?" Der Steher, der nach dem miserablen Ergebnis nur kurz an Ruecktritt dachte, will das Blatt diesmal mit einem "modernen Wahlkampf" doch noch wenden. "Aufbruch 99" heisst das Motto. Auf dem azurblauen Wahltourbus steht gross www.spd-sachsen.de, und der Wahlkampfstab tagt in einer "Sachsen-Kampa". Hinzu gesellt sich eine prominente Wahlkampfmannschaft: Der ehemalige Uni-Rektor Cornelius Weiss, Sachsens DGB-Chef Hanjo Lucassen und der Druckereibesitzer Karl Nolle belegen die Listenplaetze vier bis sechs. Wenigstens 31 Prozent sind, wenn die PDS ihr Ergebnis haelt, noetig, damit Sachsen endlich wieder ein bisschen rot wird.
Die miserablen Umfrageergebnisse haben die Basis desillusioniert. Dresdens SPD-Chef Manfred Muentjes fuerchtet, mit diesem Spitzenkandidaten abermals zu scheitern. Hinter dem Ruecken des Parteichefs wird bereits Leipzigs Oberbuergermeister Wolfgang Tiefensee als Kunckel-Nachfolger ins Spiel gebracht. Doch der Steher wehrt sich tapfer: "Am 20. September beginnt nicht die Zeit nach Kunckel."

Bernhard Vogel, Thueringens christdemokratischer Ministerpraesident, steht am Strassenrand. Ueberlebensgross, verschraenkt er die Haende hinter weissem Scheitel, zufrieden und entspannt laechelnd. Die Botschaft ist einfach: Seht her, das hab' ich erreicht.

In der Tat kann sich Vogel entspannt zuruecklehnen. Der groesste Anstieg beim Bruttoinlandsprodukt, die hoechste Exportquote der neuen Laender, das groesste Plus bei den Industriearbeitsplaetzen und mit 14,3 Prozent die geringste Arbeitslosenquote Ostdeutschlands - Thueringen hat Sachsen mittlerweile als Klassenprimus im Osten abgeloest. Vogels Chancen, das Regierungsruder fuenf weitere Jahre in der Hand zu halten, sind nach letzten Umfragen ausgesprochen gut. Insgeheim kann er sogar mit einer CDU-Mehrheit liebaeugeln und so die verhasste grosse Koalition beenden.

Die will auch Richard Dewes, Innenminister und Spitzenkandidat der Thueringer SPD, beenden. Dewes ist das glatte Gegenteil von Kunckel. Thueringens SPD-Chef weiss, wie man austeilt. Dewes ist einer, der sich schlaegt, er polarisiert, kaempferisch und aggressiv. Mal keilt er sich mit Thueringens Ex-Innenminister Willibald Boeck wegen dessen Hausumbau, mal macht er Andeutungen ueber eine Zusammenarbeit mit der PDS. Der 51-jaehrige Saarlaender ist immer fuer eine Schlagzeile gut. Mit Ausnahme der OeTV-Landesvorsitzenden Claudia Ruehlemann besteht seine Kernmannschaft aus allen bisherigen SPD-Ministern.

Unklar ist, warum Dewes, der Innenminister, in der Endrunde des Wahlkampfs auf Deckung geht. Zuerst erschossen Polizisten einen Rentner, den sie mit dem gesuchten Moerder Dieter Zurwehme verwechselten. Dienstherr Dewes tauchte, statt vor Ort zu erscheinen, fast zwei Tage lang ab. Schliesslich liess er sich zu der Erklaerung hinreissen, "so etwas" koenne immer mal wieder vorkommen. Als beim Bundesinnenminister Rudolf Seiters "so etwas" vorkam - 1993 wurde bei einem Polizeieinsatz in Bad Kleinen der als Terrorist steckbrieflich gesuchte Wolfgang Grams erschossen -, trat Seiters zurueck. Dewes schloss einen Ruecktritt kategorisch aus.

Kuerzlich vermisste das Landeskriminalamt mehrere Kilogramm Sprengstoff bei der Polizei. Zwar ergab eine interne Kontrolle, dass hauptsaechlich Buchungsfehler Ursache der Fehlmenge sind. 400 Gramm bleiben aber nach wie vor verschwunden. Ein gefundenes Fressen fuer die CDU-Wahlstrategen: Landtagsabgeordnete werfen Dewes mangelnde Aufsicht und "eine unglaubliche Schlamperei" vor. Und dann ist da noch die wegen der Berliner Sparplaene gestrichene ICE-Trasse durch Thueringen. Ministerpraesident Vogel moechte die SPD fuer eine gemeinsame Bundesratsinitiative zum Bau der Strecke Nuernberg - Erfurt gewinnen. Doch aus Ruecksicht auf des Kanzlers Sparplaene kneift Dewes. Das ist den Thueringern nur schwer zu vermitteln.

"Ich will Ministerpraesident werden, egal wie", hat der SPD-Spitzenkandidat einmal gesagt. Damit meinte Dewes die PDS. Schon in der zu Ende gegangenen Legislaturperiode haetten SPD und PDS eine Mehrheit von vier Sitzen gehabt. Immer wieder schwadronierte Dewes, dass ein Zugewinn beider Parteien geradezu ein Waehlerauftrag zur Bildung einer rot-roten Koalition bedeute. Darueber war in Thueringens SPD ein heftiger Streit entbrannt. Dewes schlug elegant vor: Erst ein Parteitag nach der Wahl solle bestimmen, ob man mit der PDS oder der CDU die neue Regierung bilde.

In Thueringen wird bis zum Wahlabend die Spannung steigen. Zwar legt die CDU weiter kraeftig zu, liegt jetzt bei 44 Prozent. Haette die letzte Umfrage aber auch am Wahlabend Bestand - 26 Prozent fuer die SPD, 19 Prozent fuer die PDS, elf Prozent fuer die "Anderen" (darunter DVU mit drei, FDP und Gruene mit je zwei Prozent) -, wuerde das linke Lager ueber ein Mandat mehr verfuegen. Vielleicht wird der Osten ja doch noch rot?
(Nick Reimer)